(Foto: Nina Maul)
(Foto: Nina Maul)

Bierpong im Seniorenheim

▷ Letzte Änderung: 2016-10-20
By Nina [FluxFM] |

Es ist Mitte Oktober, das heißt, die vorlesungsfreie Zeit ist vorbei. Das Wintersemester steht in den Startlöchern und damit auch zahlreiche Studierende, die neu nach Berlin kommen und auf Wohnungssuche sind. Im angestrebten Lieblingsbezirk etwas bezahlbares zu finden, auch noch mit knorke Mitbewohner*innen, kann sich mitunter als Quadratur des Kreises herausstellen. Also heißt es: Abstriche machen. Vielleicht muss es ja doch nicht unbedingt Kreuzkölln oder Friedrichshain sein, mit Stuck und Parkett?

Die eigenen Ansprüche zurückfahren ist eine Lösung. Aber es könnte auch nichts schaden, wenn neue Angebote für studentisches Wohnen geschaffen würden. FluxFM-Redakteurin Steffi Groth hat in den Niederlanden ein Projekt entdeckt, das – zugegeben – erst mal wenig attraktiv klingt, und doch funktioniert.


Erst Einführung in die Kommunikationswissenschaft, Pro-Seminar, Kantine, Tutorentreffen, Bibliothek, Grundlagen der Statistik, dann Feierabend. Wenn Sores nach der Uni nach Hause kommt, betritt er weder eine wuselige WG mit drei Mitbewohnern, noch ein schuhkartongroßes Zimmer im Studierendenwohnheim, sondern: ein Seniorenheim.

„Der einzige Unterschied ist eigentlich, dass meine Nachbarn ältere Leute sind“, erzählt er. Genau genommen sind es 160 ältere Nachbarn mit denen Sores, und fünf weitere Studierende eine Wohngemeinschaft bilden. Sie alle wohnen im Pflegeheim Humanitas in der Stadt Deventer in den Niederlanden.

„Als ich das erste Mal davon gehört habe, fand ich es ziemlich komisch. Ich war mir sicher, dass es viele Regeln geben würde, aber so ist es nicht. Wir können kommen und gehen wann wir wollen, Freunde einladen, Partys feiern, Musik laut machen. Das hat mich überrascht.“

Der 26-Jährige ist vor sechs Monaten eingezogen. Während die älteren Herrschaften in Zimmern wohnen und von Pflegekräften betreut werden, ganz so wie man sich das in einem Seniorenheim vorstellt, haben die Studierenden ihr eigenes kleines Apartment mit Küche und Bad. Und zahlen dafür… gar nichts. Die Idee: Studenten haben wegen der hohen Mieten Probleme eine Wohnung zu finden und in der Altenpflege fehlt es an Geld, um genügend Personal zu beschäftigen. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Studierenden wohnen umsonst und verbringen dafür Zeit mit den Senioren.

Das Besondere ist, dass sie an unserem Alltag, unserem Studium, unserem Leben teilhaben. Es erinnert sie an ihre Jugend und bringt Abwechslung und Freude.

Trotzdem. Stricken und Kartenspielen, Teekranz und Reha-Sport. Das klingt nicht unbedingt nach wilder Studienzeit.

„Alle behandeln sie so vorsichtig, auch hier im Heim. Wir machen das nicht. Wir gehen ganz normal mit ihnen um. Warum sollen alte Leute nicht auch Spaß haben? Wir haben einen großen Aufenthaltsraum, da spielen wir manchmal Bierpong, alle zusammen.“

Saufspielchen mit Oma und Opa. Wer das erleben will, muss sich gegen viele Mitbewerber*innen durchsetzen. Sores bewarb sich auf eine Ausschreibung im Lokalanzeiger, führte Bewerbungsgespräche mit den anderen Studierenden, der Geschäftsführerin und dann gab’s noch ein Meet & Greet mit den Senioren – so auf Herz & Nieren geprüft durfte er schließlich einziehen. Ging’s am Anfang vor allem darum Miete zu sparen, sieht er mittlerweile ganz andere Vorteile:

„Ich habe Freundschaft geschlossen mit einer älteren Dame, ich helfe ihr oft mit ihrem iPad. Sie hat den 2. Weltkrieg erlebt und erzählt mir oft Geschichten aus der Zeit. Ich lerne viel von ihr.“

Gestorben sei zum Glück niemand, seitdem er dort wohnt. Sores will sich damit nicht wild machen, so lange es nicht so weit ist:

„Ich kann nicht sagen, wie ich darauf reagieren werde, ob es mir Angst macht. Bisher musste ich mich mit dem Tod nicht befassen. Aber es wird mich verändern, keine Frage. Und es wird ein großer Verlust sein, ich werde irgendwie damit umgehen müssen. Aber das gehört zum Leben dazu.“

ANMERKUNG: Eine FluxFM-Hörerin hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass diese Idee auch in Deutschland bereits umgesetzt wurde. In der Bremer Heimstiftung leben Senior*innen und Student*innen seit knapp einem Jahr zusammen.

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