Andrés Wurstland am Ostkreuz

▷ Letzte Änderung: 2014-08-11
By Diana Hagenberg [FluxFM] |

Der alte Bahnhof Ostkreuz aus dem 19. Jahrhundert ist schon lange abgerissen und mittlerweile steht dort eine riesige Bahnhofshalle aus Glas und Stahl mit Rolltreppen, Fahrstühlen und Fastfood-Filialen. Drumherum herrscht immer noch Großbaustelle. Und dann gibt es ja noch diese eine, kleine Wurstbude am Ausgang Sonntagstraße. Die hält sich weiter tapfer am Ostkreuz. Grund genug für uns, bei Andrés Wurstland mal vorbei zu schauen. Eine Reportage von Matthias Hummelsiep.
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10 Uhr morgens am Ostkreuz: Pendler eilen kreuz und quer über die Bahnsteige, dazwischen Touris mit ihren Rollkoffern. Von außen glänzt die gläserne Bahnhofshalle in der Vormittag-Sonne und rundherum: Großbaustelle. Auf der Sandbrache kurven Bagger umher – hier wird gesägt, dort drehen sich Betonmischer. Nur ein paar Meter weiter steht Andrés mobile Wurstbude – davor ein Bistrotisch und Mülleimer. Wurstland, so hat André sein kleines Reich genannt – und hier, da sind sich viele einig, gibt es die beste Kettwurst der Stadt. Umfrage:

„Das ist ein Brötchen, wo innen drin eine Wurst steckt. Und schmecken tut es irgendwie nach … na, schmeckt halt.“

„Der Curryketchup ist gut. Super, so wie man sich eine Kettwurst vorstellt.“

Braun gebrannt, kurze Haare, kariertes Hemd: seit 16 Jahren steht André hinter der Theke. Vor ihm in der Auslage türmen sich dicke und dünne Würste aus eigener Produktion. Erst bekomme ich einen Kaffee, dann die Auslage erklärt:

„Also, fangen wa links an. Da haben wa nen feinen Knoblauchring, dann die schöne Hausmacherleberwurst im Glas, die goldbraun fasziniert panierten Schnitzel, den Glindower Knüppel, die fein portionierten Knoblauchringe, den hausgemachten Kartoffelsalat und dann natürlich die Hall of Fame – die Bockwurscht, die Krautwurscht, die Wiener, die Dünne, die Dicke, die Polnische …“

Morgens um zehn schauen vor allem Bauarbeiter und Stammkunden vorbei. Touristen fragen meist nur nach dem Weg. Und während André das erzählt, winkt er mich zu sich hinter die Theke. Sein Wurstland ist eng, aber geräumig. Alles hat seinen Platz: Kaffeemaschine, Kasse, Zange, Getränkekisten, Mikrowelle, der Putzlappen griffbereit an der Seite. André sagt:

„Ein Kunde ist okay, aber wenn du zwei stehen hast, so wie die beiden da, dann ist das wie, als wenn du bei denen im Wohnzimmer sitzt. Das ist ganz ganz schlimm, denn du musst aufpassen, dass du nicht zum Voyeur wirst.“

Seine Stammgäste sind André die liebsten, Menschen wie Annie, in bester Feierlaune, denn sie ist heute 68 geworden. Andre:

„Süße, was willst´n haben? Dann geb ich dir was aus!“

Annie:

„Ich möchte zwei dicke Knackwürschte mitnehmen und eine Schrippe, eingepackt.“

Andre:

„Und zahlen willste och nicht an deinem Geburtstag, wa?“

Schnell wird klar: André ist mehr als Verkäufer: Er ist Entertainer, Therapeut, Soziologe, Wurstexperte und Cityguide in einem. Kundin:

„Ne Wiener auf Pappe, nicht im Brötchen bitte!“

Andre:

„Oh man, janz vornehm.“

Kundin:

„Hätte man ja auch mal fragen können, wa!?

Andre:

„Och, hör mir uff! Kann mich doch nicht für nen Euro totmachen.“

Sein Wurstland ist André so ans Herz gewachsen, dass er dafür seinen Job als Systemgastronom an den Nagel gehängt hat. Und wenn sein kleines Imperium Baustelle am Ostkreuz mal im Weg sein sollte – dann rollt er eben seinen Anhänger einfach ein Stück weiter, so wie immer.

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