Berliner Persönlichkeiten: Ronald M. Schernikau
Der nächste Beitrag erzählt die Geschichte eines begabten Schriftstellers, einer schwulen Diva – und eines leidenschaftlichen Kommunisten. Es geht aber nicht um drei, sondern um einen Menschen: Ronald M. Schernikau. Wir sind über den jung verstorbenen Schriftsteller gestolpert, weil am Wochenende in Marzahn-Hellersdorf eine Gedenktafel für ihn enthüllt wird. Und haben das zum Anlass genommen, euch diese schillernde Persönlichkeit vorzustellen. Zarah-Louise Roth mit einem Porträt über eine Lichtgestalt der deutschen Literatur der 80er Jahre…
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Herbst 1989: Tausende Ostdeutsche strömen gen Westen. Nur einer geht in die entgegengesetzte Richtung: Ronald M. Schernikau. Der junge Schriftsteller gilt als einer der begabtesten Autoren der 80er Jahre und ist der letzte Westdeutsche, der DDR-Bürger wird. Sein Freund und Biograph Matthias Frings:
„Das war wirklich sein Sehnsuchtsland. Und er hat das schon Jahre vorher versucht. Und diese alten grauen Männer, die haben ihn einfach nicht reingelassen, weil die gesagt haben: wir brauchen hier keine Kommunisten in der DDR, du musst im Westen agitieren!“
Es gibt Menschen, die passen nirgendwo rein – und fallen überall auf. Ronald Schernikau war so einer, meint Frings:
„Herr Schernikau hat so lange genervt, bis sie ihn schließlich am 1. September 1989 reingelassen haben.“
Gäbe es sein Leben als Film – man würde ihn für atemberaubend, aber äußerst unrealistisch halten. Geboren wird er 1960 in Magdeburg. Mutter Irene Binz packt ihn als 6-Jährigen in den Kofferraum und flieht in den Westen. Er wächst in Lehrte bei Hannover auf. Mit 16 tritt er in die Kommunistische Partei ein. Als Abiturient schreibt er seinen ersten Roman.
.“..wozu dich die Schule erzieht: Wenn schon alles Scheiße ist, dann aber auch totale Flucht aus allem, Gegenwehr ist Kackmist, zum Scheitern verurteilt. Dann lieber ne Flasche Bier oder n Joint.“
Kleinstadt-Novelle ist eines der ersten deutschen Coming-Out Bücher, eine gnadenlos ehrliche Abrechnung mit der Gesellschaft – und ein durchschlagender Erfolg. Schernikau studiert in den 80ern an der FU Berlin und in Leipzig Literatur. Als er in den Osten rübermacht, lebt er in Hellersdorf und arbeitet als Dramaturg für Hörfunk und Fernsehen. Schernikau lebt offen homosexuell und tritt gern im Fummel auf. Matthias Frings erinnert sich:
„Man nennt sowas Boheme oder damals hat man es Szene genannt. Die hatte eigentlich zu tun selbstverständlich mit viel Ausgehen. Mit Drogen, mit Alkohol, mit Sex, wie es sich gehört in jungen Jahren.“
„Schreiben Schwulsein Kommunist sein – Glaube Liebe Hoffnung – kindlich tuntig selbstbewusst.“ So beschreibt er selbst sein Leben und Wirken. In Interview stimmt er auch schon mal ein Kinderlied an:
„Doch lebt der alte Glaube im Menschen unbeirrt,
dass einmal Friede, dass einmal Friede, dass einmal Friede wird.
Warum magst du das?
Weil es so naiv ist und so …
direkt.“
Nur wenige Wochen nach seiner Einreise bricht sein Sehnsuchtsland auseinander – die DDR ist Geschichte. Schernikau schreibt weiter und vollendet 1991 seinen Berlin-Roman Legende – nur wenige Tage vor seinem Tod. Am 20. Oktober 1991 stirbt er an Aids. Lebenshungrig und todkrank – bis zuletzt vereint er Gegensätze. Nur wer träumt, ist Realist – Ronald Schernikau war und konnte beides.
Die Gedenktafel für Ronald Schernikau wird am Freitag, den 5. September 2014, an seinem letzten Wohnort in Hellersdorf, nämlich in der Cecilienstrasse 241, enthüllt. Wenn ihr mehr über den Autor erfahren wollt, legen wir euch noch die Biographie ans Herz von Matthias Frings. Der letzte Kommunist hat bei Erscheinen 2009 für viel Aufsehen gesorgt und war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.