Draußen schlafen ist eine Kunst
Kältebus, Wohnheim, U-Bahnhof. In Berlin leben sechs- bis achttausend Menschen ohne Dach über dem Kopf. Weitere 50.000 finden Zuflucht in Frauenhäusern, Sozialwohnungen und Übergangsheimen. Die Stadt Berlin bietet vielen Wohnungslosen Hilfe an, wird aber nicht allen gerecht. Wie steht es um diejenigen, die durch das Raster fallen? Mila Weidelhofer aus der Redaktion hat den ehemaligen Obdachlosen Uwe getroffen und ihn begleitet.
Uwe hat lange auf Berlins Straßen gelebt. Wir sind am Spreeufer zwischen Bodemuseum und Weidendammer Brücke. Heute: die Schokoladenseite von Berlin. In den 90ern: eine Schmuddelecke in Grenznähe. Uwe zeigt mir die Bank, auf der er vier Jahre lang geschlafen hat.
Hier hab ich gewohnt. Ich sag immer: Hier waren mein Wohnzimmer, Schlafzimmer Küche und Bad, hier hab ich mich wohlgefühlt. Hier hatte ich meine Ruhe. Und ich weiß, was Bänke für mich bedeuten. Bänke sind für mich eine Faszination, weil Bänke unterschiedlicher nicht sein können. Weil jede Bank eine andere Holzart hat. Und das ist weiches Holz. Ich kann mit dem Mittelfinger ertasten, welches Holz die Bank hat.
Uwe ist Urberliner. Er ist in der DDR aufgewachsen und kam früh mit dem Gesetz in Konflikt. Ergebnis: Gefängnis. Die Folge: Eine Klaustrophobie, die ihm das Leben zur Hölle macht.
Seit 37 Jahren, das habe ich der Stasi zu verdanken. Da waren die Vernehmungen nicht prickelnd. Die dauerten so zwischen 12 und 20 Stunden und dann hast du so ’ne ganz kleine Zelle gehabt. Durftest dich nicht seitlich hinlegen, die Hände auf den Bauch und Tag und Nacht brannte das Licht. Ich kann nicht in geschlossenen Räumen. Da werd‘ ich wahnsinnig.
Im Sommer ist das Leben draußen hart, aber erträglich. Der Berliner Winter ist brutal. U-Bahnhöfe und Notunterkünfte waren für Uwe wegen seiner Platzangst keine Option. Ab Minus 17 Grad hat er am Alten Museum Schutz gesucht und die Wanne, die vor dem alten Museum steht zum Schlafplatz umfunktioniert.
Wenn du hier drinne liegst, legst du das mit Pappe aus. Kommt die Kälte nicht rein. Umso tiefer du liegst, desto wärmer wird es. „Aber es ist doch aus Marmor?“ Ja, aber durch die Pappe und den Schlafsack geht’s, da kriechst du rein und machst ’nen Schläfchen
Heute ist das Gelände vor dem Alten Museum Video überwacht. Die Berliner Wohnungslosen können auf gerade mal zwei Bahnhöfe ausweichen.
Uwe arbeitete für den Verein Querstadtein und gibt Führungen durch seinen ehemaligen Kiez. Seine Tour heißt Draussen schlafen ist eine Kunst. Die nächste öffentliche Tour ist am 20. Januar, ihr könnt aber auch eine Gruppentour zu einem früheren Termin anfragen.
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