Ein Fanzine zur besten Band der Welt | The XTC Bumper Book Of Fun
Ist eigentlich irgendjemand im Jahre 2017 noch Mitglied in Fanclubs? Diesen wunderbar verschrobenen Zusammenschlüssen potentieller Nerds, die sich zumeist auf eine solch hingebungsvolle Weise mit einem Thema beschäftigen, mit Haut und Haaren, um es bis ins kleinste Detail zu studieren? Sie scheinen altmodische Relikte, diese Fanclubs, und heutzutage existieren sie bloß noch digital, als Foren etwa, in Eigenregie betrieben. Oder noch schlimmer, als Facebook- oder WhatApp-Gruppen. Die Zeiten, in denen mit Herzblut hergestellte Magazine per Post verschickt wurden, sind längst passé. Oder wann habt ihr zuletzt bei einer Vinyl den Hinweis gelesen, man könne einen frankierten Briefumschlag irgendwo einschicken, um mehr Informationen über eine Fanclubmitgliedschaft zu erhalten? Eben.
Retro bedingt eben retro, weswegen auch das XTC Bumper Book Of Fun For Boys And Girls wie aus der Zeit gefallen wirkt. Äußerlich an eine Mischung aus Telefonbuch und Abizeitung gemahnend, beinhaltet das gut 250 starke XXL-Heftchen Nachdrucke von sämtlichen (!) zwischen 1982 und 1992 erschienen Ausgaben des Fanmagazins Limelight, damals wie heute herausgegeben vom Vorsitzenden des Fanclubs, Mark Fisher. Nun muss man an dieser Stelle einmal ganz neutral feststellen: XTC, das ist die beste Band der Welt.
Eine Eigenschaft besitzen solche Fanclubs nämlich, abgesehen von ihrer altmodischen Art, ebenfalls noch. Zumeist sind es absolute Randerscheinungen, die Menschen dazu bringen, sich in Fangruppen zusammenzuschließen. Natürlich gibt es Ausnahmen, bedenkt man etwa die gewaltigen Anhängerschaften populärer Fußballclubs, jedoch tauchen auch dort mitunter interessantere, weil kleinere Splittergruppen auf. Je kleiner und abseitiger das gewählte Sujet, desto größer die finale Passion. Das trifft offenbar ganz besonders in der Musik zu. Was uns wiederum zu XTC führt, denn, einmal der Band verfallen, scheint man gar nicht anders zu können, als bei jeder erstbesten Gelegenheit über ihre vielen Qualitäten ins Schwärmen zu kommen.
XTC sind die beste Band der Welt. Punkt. Andy Partridge ist bis heute so etwas wie der vergessene Held der britischen (Pop-)Musik. Seine Kompositionen sprühen vor Innovation und Kreativität; während die frühen New-Wave-Nummern von einer ansteckenden Energie angetrieben werden, bestechen die späten Werke durch eine nahezu malerische lyrische Anmut. In beinahe jedem Song gibt es an irgendeiner Stelle eine unerwartete, aber dennoch wie die Faust aufs Auge passende Wendung. (Middle Eights, Geheimwaffe von Songs jeder Art. Die Beatles wussten das [vgl. We Can Work It Out, der Life is very short…-Teil].) Aber keiner setzte dieses oft vernachlässigte Stilmittel der Popmusik so meisterhaft um wie Andy Partridge. (Und vielleicht noch Billy Joel, parallel und etwas früher, auf der anderen Seite des großen Ozeans. Aber das ist eine andere Geschichte.) Kongeniale Partner zu Partridges manchmal unkontrolliert erscheinenden Hibbeligkeit waren Colin Moulding (Making Plans For Nigel, anyone?) und Gitarrist Dave Gregory, wohl einer der besten seiner Zunft.
In den Achtzigern dann verließen XTC die Konzertbühnen der Welt und sollten, bis auf so wenige Ausnahmen, dass sie praktisch nicht weiter ins Gewicht fallen, nie wieder zurückkehren. Ein ungewöhnlicher Schritt für Bands zu jener Zeit, denn damit entzogen sich XTC nicht nur einer ganzen Reihe potentieller Neuhörer, sondern ihren Fans regelrecht die Basis eines gemeinsamen Treffpunkts des regen Austauschs und fröhlichen Zusammenkommens. Umso dringend nötiger hatte man die Existenz von Limelight, DEM XTC-Fanclub Schrägstrich Fanzine schlechthin.
Hier fanden die eingangs erwähnten Nerds zwar keinen physischen Treffpunkt, allerdings eine Möglichkeit auf Gleichgesinnte zu treffen. Hier bekamen sie eine Community, die ihre verrückten Einfälle zu schätzen wusste. So wurden unter dem Banner des Fantums fleißig Songs umgedichtet (grenzgenial: aus The Mayor Of Simpleton wird The Mayoress Of Simpleton), Kontaktanzeigen geschaltet („I would like to correspond with anybody who likes XTC and their music. I also like watching T.V. and plane spotting.“) und Interviews geführt. Schnell entwickelte sich ein ureigener Kosmos, in dem für die Dauer des Lesens alles möglich war.
Zur Veröffentlichung des wunderbaren Psonic Psunspot-Albums, der Hommage an die psychedelische Musik der späten sechziger Jahre, das XTC unter ihrem Alter Ego The Dukes Of Stratosphear aufnahmen, gab es etwa ein ausführliches Interview mit Sänger und Gitarrist Sir John Johns (alias Andy Partridge) zu lesen. Dort beschwerte er sich vehement darüber, dass amerikanische Musiker wie die Beach Boys schamlos bei den Dukes geklaut hätten, ohne ihre klanglichen Vorbilder jemals ausreichend zu würdigen. Jetzt allerdings würden ja endlich die Re-Issues von damals erscheinen – und endlich könne jeder hören, wer das wahre Original sei. Natürlich ein Scherz, ein schelmischer Lausbubenstreich, aber welch ein zauberhafter.
Apropos Scherz, bemerkenswert ist es, wie viele britische Comedians sich doch als eingeschworene XTC-Fans verstehen. In einem der vielen neuen Artikel im XTC Bumper Book treffen sich gleich fünf zu einem zum Schreien komischen Talk über ihre Lieblingstextzeilen und -songs. Dennoch liegen Welten zwischen so genannten Comedybands, wie etwa den halbgaren Barenaked Ladies, und XTC. Eine reine Spaßtruppe war das Trio aus Swindon nie. Allerdings zeichnete sie vor allem Partridges einfallsreicher Esprit aus, der sich immer wieder in seinem Songwriting niederschlug. Er spielte sicherlich eine große Rolle, warum Anhänger gehobener Comedy bis heute so sehr auf XTC abfahren. Da gab es tolle Textzeilen voller Wortspiele wie I wouldn’t hector if you’d be Helen of Troy und Reign of blows has washed away the corpse of Abel, Cain is now the king in every Babel zu entdecken.
Dass diese Anthologie von Limelight ausgerechnet jetzt erscheint, ist sicherlich kein Zufall. XTC gründeten sich vor 40 Jahren, das erste Limelight erschien vor 35. Im Zweifel ist jetzt die beste Zeit dafür, dass die Band wiederentdeckt wird. Das liegt vor allem an den Neuveröffentlichungen, die in den letzten paar Jahren erschienen sind, allesamt von Prog- und Art-Rock-Darling Steven Wilson klanglich bis zur Perfektion veredelt. Allen voran das 1986 erschienene Skylarking, eines der besten Alben aller Zeiten.
Darüberhinaus taucht Partridge auf Wilsons neuem Soloalbum To The Bone als Co-Komponist auf. Nach einer beinahe schon unverschämt langen Pause von 17 Jahren (seine Soloausflüge und Demo-Archiv-Veröffentlichungen nicht mitgerechnet) steht Partridge nun wieder bei einem Plattenlabel unter Vertrag. Colin Moulding musiziert wieder mit dem langjährigen XTC-Drummer Terry Chambers – unter dem Namen TC And I! Dave Gregory veröffentlicht erstklassigen Retro-Prog im Stile von Genesis mit Big Big Train. Außerdem strahlt Sky (ja, DER Pay-TV-Sender Sky) bald eine Dokumentation über die Band aus.
Zeit wird’s also, dass XTC endlich die Anerkennung bekommt, die sie verdienen, sollte es auch bloß posthum passieren. Als das, was sie sind: nämlich die beste Band der Welt.
The XTC Bumper Book Of Fun For Boys And Girls – A Limelight Anthology ist direkt über Herausgeber Mark Fisher auf der Homepage des Fanzines oder bei Burning Shed zu bestellen.
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