Internationaler Literaturpreis 2018 | Lesen und lesen lassen Spezial
Foto: Ann-Kathrin Canjé

Internationaler Literaturpreis 2018 | Lesen und lesen lassen Spezial

▷ Letzte Änderung: 2018-06-18
By Maike Bartsch |
Im Radio:
18. bis 24. Juni

Ihr sucht nach neuer Lektüre für den Strandurlaub, für den Feierabend auf dem Sofa oder für die U-Bahn? Na da geben wir euch doch gern ein paar Tipps! Anlässlich der Verleihung des Internationalen Literaturpreises für übersetzte Gegenwartsliteraturen stellt euch Jörg Petzold vom 18. bis 24. Juni on air die sechs Finalisten vor. Die Hörproben sind aus rechtlichen Gründen nur 7 Tage online.

Die Preisverleihung durch das Haus der Kulturen der Welt und die Stiftung Elementarteilchen findet dann am 28. Juni statt und ihr könnt live dabei sein. Lernt die nominierten Autor*innen und Übersetzer*innen persönlich kennen, lauscht Lesungen und hört euch spannende Diskussionen an – am 28. Juni beim Fest der Shortlist. 18 Uhr geht’s los und der Eintritt ist kostenlos.

Aber zurück zu den Büchern…

„Die Geschichte einer kurzen Ehe“ von Anuk Arudpragasam

Ein Tag im Krieg. Auf das Lager fallen Bomben, der Arzt amputiert ohne Betäubung und Frauen werden vergewaltigt. Eine junge Frau und ein Mann finden freiwillig-unfreiwillig zusammen und wagen trotz aller Umstände einen Versuch von Zärtlichkeit.

Die Geschichte einer kurzen Ehe von Anuk Arudpragasam (übersetzt von Hannes Meyer) ist erschienen bei Hanser Berlin Literaturverlage.

Fazit von Jörg Petzold:
Dieses Buch ging mir so an die Nieren! Krieg und Hoffnungslosigkeit hart und ungeschönt beschrieben. Doch dann eine Liebe inmitten des Verwüstung, diese Menschlichkeit, die innerhalb dieser Katastrophe aufblüht.


„Das Leben des Vernon Subutex“ von Virginie Despentes


Gerade noch ein angesagter Typ – mit einem Plattenladen, den richtigen Kontakten und einem Leben voller Sex, Drugs und Rock’n’Roll – steht Vernon Subutex plötzlich auf der Straße. Mit Notlügen findet er Unterschlupf bei alten Freunden, hangelt sich von Sofa zu Sofa und beginnt seine Reise zu den Abgründen einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft.

Das Leben des Vernon Subutex von Virginie Despentes (übersetzt von übersetzt von Claudia Steinitz) ist erschienen im Kiepenheuer & Witsch Verlag.

Fazit von Jörg Petzold:
Kaum ein Buch der letzten Jahre beschreibt, meiner Meinung nach, die gesellschaftlichen Verschiebungen der europäischen Mittelschicht so treffend und saftig wie „Das Leben des Vernon Subutex“. Bei aller deftigen Schnoddrigkeit und Härte sind die Figuren sehr genau und liebevoll beschrieben; kaum ein brennendes Thema bleibt unberührt, die Wut ist spürbar, der Witz ist großartig, die weibliche Perspektive auf Männlichkeit und Individualismus bestechend und erhellend – es gibt wirklich überhaupt keinen Grund, dieses Buch – mittlerweile diese Bücher – nicht zu lesen!


„Nach der Ewigkeit“ von Maxim Ossipow


Der Autor ist Arzt – und mit berufsmäßiger Präzision seziert er in 10 Geschichten die russische Gesellschaft. Es geht um tadschikische Gastarbeiter, neureiche Emigranten oder ehemalige Geheimdienstler und ihre tüchtigen, in der neuen Zeit angekommenen Kinder. In: Nach der Ewigkeit von Maxim Ossipow.

Nach der Ewigkeit
von Maxim Ossipow (übersetzt von Birgit Veit) ist erschienen im Hollitzer Verlag.

Fazit von Jörg Petzold:
Ganz starke Erzählungen. Die Sprache haut mich um: präzise, knackig, humorvoll. Jede Geschichte hat ihren eigenen Ton. Es ist wirklich schwer aufzuhören beim Lesen.
Wer nur irgendwie von sich behauptet, russische Geschichten zu mögen oder russisches Leben – die russische Seele – , der bzw. die findet hier einen wahren Schatz.


„Liebesroman“ von Ivana Sajko


Er ist berauscht – sie ist besorgt. Ein arbeitsloser Humanist schreibt an seinem Liebesroman, eine Schauspielerin gibt ihren sicheren Job im Theater auf. Er verwächst in Lethargie mit dem Sofa – sie kümmert sich ums gemeinsame Kind. Beide kreisen sie umeinander und dem Abgrund entgegen.

Liebesroman von Ivana Sajko (übersetzt von Alida Bremer) ist erschienen im Voland & Quist Verlag.

Fazit von Jörg Petzold:
Hier haben wir die Preisträgerinnen des Internationalen Literaturpreises 2018! Mit fantastischer, mitreißender Kraft und Explosivität beschreibt Sajko fast atemlos die Unmöglichkeit einer äußerst temperamentvollen Liebe. Was für ein Flow, großartig übersetzt von Alida Bremer. Das Besondere ist dabei, dass aufs Eindrucksvollste erlebbar wird, wie die politische Situation, der übergreifende Kommerz in Kroatien und damit einhergehender Druck und Depression das private Leben des Paares zum Platzen bringen.


„Die Tagesordnung“ von Éric Vuillard


Éric Vuillard wirft einen Blick ins historisches Hinterzimmer. Es ist das Jahr 1933 in Deutschland, Hitler trifft sich mit Großindustriellen. Krupp, Opel, BASF, Siemens und Allianz formen mit ihm zusammen den Lauf der Geschichte. Ein schauriges Kammerspiel – spannend und hochpolitisch erzählt.

Die Tagesordnung von Éric Vuillard (übersetzt von Nicola Denis) ist erschienen im Matthes & Seitz Verlag.

Fazit von Jörg Petzold:
Irgendwo zwischen Novelle und Sachbuch angesiedelt, entwirft hier Vuillard eine bitterböse und entscheidend abweichende Erzählung uns sehr bekannter geschichtlicher Vorgänge: der Machtergreifung der Nazis und der Besetzung Österreichs. Er zeigt, wer erzählt und aus welcher Perspektive, spielt die wichtigste Rolle. Das ist auch wirklich toll übersetzt, sehr präzise, pointiert, in einem guten Flow von Nicola Denis. Nach der Lektüre ist mir klar: Es hat sich nicht so viel verändert in den knapp hundert Jahren seitdem, denn seine Conclusio für diese Zeit könnte genauso für heute stehen. „Die Welt gehorcht dem Bluff!“


„Vogelgeister“ von Eliot Weinberger


Es gibt Neuigkeiten aus dem Paradies! Zumindest wenn es nach dem Poeten und Essayisten Eliot Weinberger geht. In seinem neuen Band berichtet der Tausendsassa bisher unbekannte Geschichten über Adam und Eva, von ausgestorbenen Vögeln auf Neuseeland, über die Mythologie ganz gewöhnlicher Steine und ja – auch von verheirateten Fröschen.

Vogelgeister von Eliot Weinberger (übersetzt von Beatrice Faßbender) ist erschienen im Berenberg Verlag.

Fazit von Jörg Petzold:
Dieses Buch muss man ganz langsam lesen, sich viel Zeit nehmen, genießen! Die Essays sind von großer Poesie und Schönheit, etwas ganz Besonderes in der heutigen Literatur. Beatrice Faßbender hat es geschafft, diese Sprachkunstwerke so zu übersetzen, dass es ein großer Genuss ist. Die Essays und Geschichten sind nur assoziativ miteinander verbunden und zeugen von einer unglaublichen Bildung des Autors. Das Allerbeste aber ist: die Texte sind nicht frei von Humor und Ironie! Wem allzu tumbe Welterklärung auf den Geist geht, wer es poetisch und anspruchsvoll mag, der bzw. die liegt mit diesem Buch goldrichtig.

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