Wie man Kleidung aus liegengelassenen Zelten macht | Kattunfabrik in Wien
Der letzte Tag des Frequency Festivals in Österreich ist der Startschuss für das Team der Kattunfabrik. Gemeinsam haben sie dort dieses Jahr über 300 zurückgelassene Zelte eingesammelt. Ihr Vorhaben: Aus den alten Planen neue Regenjacken nähen. Jimmy Nagy leitet die gemeinnützige Schneiderei ehrenamtlich. Er sagt:
„Seither stehen wir in Waschsalons und waschen Planen. Natürlich haben solche Zelte den ganzen Festivaldreck in sich – und der muss raus bevor er an die Nähmaschinen kommt.“
Damit ein altes Zelt zur Jacke wird, müssen sieben Teile zusammengenäht werden. Am Schluss wird die Naht noch wasserdicht gemacht; das passiert mit einem aufgebügelten Gummiband.
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Sinn und Zweck ist in der Produktion nicht nur der Regenschutz oder hippes upcycling. Die Kattunfabrik macht ihre Mitglieder fit fürs Leben – mit Fachwissen, Praxisübungen und nicht zuletzt der deutschen Sprache. Denn viele der Mitarbeiter sind Geflüchtete. Los ging es vor knapp drei Jahren erzählt Gründer Jimmy:
„Mein Mann und ich hatten eine kleine Lederwerkstatt in St. Pölte. Als 2015 so viele Leute kamen, haben wir uns gedacht: Machen wir sie doch einen halben Tag auf, dann können die Leute ihre Sachen reparieren. Die Kattunfabrik ist uns also eher passiert, als dass wir es forciert haben.“
Unter den 51 Übenden der Schneiderei befinden sich: eine junge Frau aus Afghanistan, die bisher in Fabriken auf Masse produzieren musste; ein Langzeitarbeitsloser, der den Anschluss nicht verlieren will; und eine Rentnerin, die ihrer Leidenschaft nachgehen möchte. Das Motto: Eine Naht verbindet und hält zusammen, was zusammen gehört – bei Stoff wie bei Menschen. Für ihre Kundschaft ist jeder Regenjackenkauf auch eine kleine Überraschung: Aussuchen können sie im Onlineshop von Kattunfabrik lediglich Größe und Farbe der Jacke. Für die meisten kein Problem, sagt Gründer Jimmy:
„Wir sind nicht Amazon. Wir sind die Kattunfabrik und bei uns ist die Kleiderproduktion immer einem ganz anderen Sinn und Zweck unterstellt. Und natürlich wissen wir, dass Konsumenten beim Klamottenkauf gerne eine große Entscheidungsmöglichkeit haben mögen. Aber die Leute haben die Garantie, dass es ein individuell handgefertigtes Einzelstück ist.“
Handarbeit hat seinen Preis. Gründer Jimmy weiß wie er Sparfüchsen den Wind aus den Segeln nimmt:
„Würde ich sagen: Willkommen in Wien, willkommen in Österreich – bei uns ist alles teurer als in Deutschland? Nein. Die 69 Euro finanzieren nicht nur eine, sondern zwei Regenjacken. Wer eine Jacke kauft, kauft eine mit für einen Menschen, der sich keine Regenjacke leisten kann.“
Dieses Jahr geht die Hälfte der Jacken als Spende an die Verkäufer*innen von Österreichs erster Straßenzeitung Augustin – damit diese beim Verkaufen an Regentagen nicht nass werden müssen. Zur Kattunfabrik in Wien möchte man am liebsten direkt hinfahren und alle umarmen für solch ein tolles Projekt.
Den Onlineshop von Kattunfabrik könnt ihr hier erreichen. Regenjacken in den Größen XS bis XL kosten 69 Euro und Regenponchos 79 Euro pro Stück. Mit eurem Kauf finanziert ihr eine zweite Jacke, die an Verkäufer*innen der Obdachlosenzeitung Augustin gespendet wird.
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