Wie funktioniert Demokratie in Afghanistan? Endlich Wahlen!
Mit fast drei Jahren Verspätung wird am 20. Oktober in Afghanistan ein neues Parlament gewählt. Probleme bei Prozedere hatten zur der Verzögerung geführt. Mehr als 2500 Kandidat*innenen, darunter knapp 400 Frauen, wollen einen der 250 Plätze ergattern. Was die Wahlen für Afghanistan bedeuten und wie das Arbeiten als Parlamentarier und überhaupt Demokratie in einem vom Kriegzerissenen Land funktionieren, hat sich FluxFM Redakteurin Jasmin Kröger angeschaut:
Jeden Morgen, noch vor acht Uhr, bildet sich im Süden Kabuls eine Menschenschlange vor dem Parlament. Sie versuchen vor Sitzungsbeginn ihre vorbeihuschenden Volksvertreter*innen abzupassen. Stehen bleibt meistens nur einer: Ramasan Baschardust. Der 56-jährige Parlamentarier nimmt ihre Briefe entgegen und bringt sie wie ein Laufbursche in die zuständigen Ausschüsse. Sollte er wieder gewählt werden, wird Baschardust bald neue Kolleg*innen haben. Er selbst hofft, dass diese ambitionierter sind als seine bisherigen, diese rümpfen gerne die Nase über ihren engagierten Genossen.
Knapp 7000 km liegen zwischen Kabul und Berlin. Hier, in Kreuzberg trifft Jasmin Kröger Ahmad Wali Temori auf einen Kaffee. Er kommt aus einer Kabuler Politkerfamilie. Sein Onkel war Bügermeister, sein Vater Berater des Präsidenten. Auch ihn hat man zu den anstehenden Wahlen kontaktiert.
Also ich hatte auch ein Angebot von einer Partei in Afghanistan – die hatten mich angerufen, aber ich habe gesagt: Nein, das will ich nicht.
Ahmad ist enttäuscht von dem aktuellen Parlament: Zu viele der Abgeordneten haben nur ihre eigenen Interessen im Blick, sind nach seiner Aussage korrupt und faul. Ausnahmen wie Baschadurst gäbe es nur wenige. Neben Stimmenkauf gibt es auch Bestechungsversuche aus der Bevölkerung. Ahmad erinnert sich an eine Anekdote von seinem Onkel, der Bürgermeister war und einen Anruf bekommt:
Ich gebe dir ein paar Schafe, wenn du meine Probleme löst.
Schafe gegen Probleme – Das mag lustig klingen, aber die Demokratie in Afghanistan ist auch noch sehr jung, die Beziehung zwischen Volk und Vertretern noch am Entstehen. Erst seit 2004 gibt es die Verfassung, gewählt wird zum dritten Mal. Vor 2001 hatten die Taliban das Land im Griff. Sie sind seit dem Abzug der USA dermaßen erstarkt, dass es an ein Wunder grenzt, dass die Wahlen überhaupt stattfinden, meint Dr. Jan Köhler. Er ist Teil eines Forschungsprojektes, das sich anschaut, wie die afghanische Bevölkerung die Interventionen des Westens empfindet. Die Euphorie gegenüber der Demokratie im Land war schon mal besser.
Was es bräuchte wären junge Menschen, die wirklich Lust haben das Land zu verändern. Einen wie Ahmad vielleicht?
Aber natürlich! Ich will irgendwann zurück gehen und für mein Land als Abgeordneter oder Präsident arbeiten.
Erstmal wird er aber Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin studieren. Bleibt zu hoffen, dass, wenn er zurückkehrt, die Wahlen nicht mehr von 54.000 Sicherheitskräften begleitet werden müssen.
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