Wie konnte Hanf auf die schiefe Bahn geraten?
Der legale Joint zum Freizeitkonsum, wie es so schön heißt, hat in Deutschland wohl noch einen längeren Weg vor sich. Eine Gruppe von chronisch kranken Patienten konnte kürzlich immerhin aber einen kleinen juristischen Sieg für sich erringen: Wer die Wirkung des THCs nachweislich zur Linderung eines chronischen Leidens benötigt und anderweitig bereits austerapiert ist, darf künftig – mit Sondergenehmigung – Gras zum Eigenbedarf anbauen. Der große Verwaltungsaufwand zeugt davon, für wie gefährlich die deutsche Justiz die Cannabispflanze noch immer hält. Dabei galt Cannabis Jahrtausende lang als Heilpflanze. Wir haben nachgefragt, wie der Hanf auf die schiefe Bahn geraten konnte.
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Rückblickend betrachtet ist es oft erstaunlich, wie wahllos manche Dinge irgendwann den Stempel „gut oder böse“ verpasst bekommen und ihn dann unhinterfragt behalten. Hanf etwa war jahrtausendelang schlicht eine Heilpflanze. Noch im 19. Jahrhundert galt er auch in der europäischen Schulmedizin als probates Mittel gegen Rheuma, Cholera oder Schlafprobleme. Doch dann plötzlich, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, folgte unvermittelt der Abstieg ins Reich des Bösen. Franjo Grotenhermen, Arzt und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin, sagt:
„Man muss sich vorstellen, dass die Ärzte sich vom Quacksalbertum abgrenzen wollten und möglichst nur standartisierte Medikamente benutzen wollten. Da kam damals beispielsweise Aspirin und Heroin auf den Markt.“
Dass Cannabis plötzlich aus dem Medizinschränkchen flog, lag also nicht an seiner Gefährlichkeit, sondern schlicht daran, dass man noch nicht ausreichend über die Pflanze wusste. Franjo Grotenhermen:
„Bei Cannabis war das Problem, dass es zwar wirksam war, man aber das THC noch nicht genau kannte und auch keine standartisierten Präparate anbieten konnte.“
Übrigens: Für Heroin galt das nicht – weshalb Bayer dieses bis in die 1930er Jahre hinein als Wundermittel gegen alles Mögliche vermarktete. Höchstrein, bis zu 25 Gramm pro Packung – und laut Werbeversprechen keinesfalls Suchterzeugend. Aber das ist eine andere Geschichte. Ein paar Jahrzehnte später gelang es Chemikern schließlich aber auch das THC, also den Haupt-Wirkstoff in Cannbis, exkat zu beschreiben. Leider etwas zu spät. Franjo Grotenhermen:
„1964 wurde THC erstmals vollständig dargstellt. Man kannte die Strukturformen ganz genau. Zu dieser Zeit aber waren die internationalen Drogenabkommen schon verabschiedet. Das heißt: Die Sytnthese von THC kam 10 bis 15 Jahre zu spät.“
Bei diesen Anti-Drogenabkommen wurden neben Cannabis zwar auch der Koka-Busch und der Schlafmohn verboten; eine medizinische Verwendung war in den Abkommen aber klar erlaubt. Blöd nur, dass Cannabis und dessen Inhaltsstoffe es bis zu diesem Zeitpunkt nicht zum offiziellen Medikament gebracht hatten. In der Folge erstarb das Interesse an Medizinhanf, während das Kraut statt dessen bald Karriere als Hippiedroge machte. Spätestens jetzt war der Ruf von Cannabis besiegelt.
Seit den 90er Jahren werden Funktion und wirkungsweise von THC und weiteren Cannabinoiden deutlich besser verstanden – erstaunlich ist dabei vor allem die Wirksamkeit in völlig unterschiedlichen Bereichen. Diese Vielseitigkeit habe einen mittlerweile erforschten Grund, sagt Franjo Grotenhermen:
„Das liegt daran, dass wir alle ein Endocannabinoid-System besitzen. Dieses Endocannabinoid-System ist eines der wichtigsten hemmenden Systeme im zentralen Nervensystem. Wenn da eine zu starke Neurotransmitteraktivität aufgrund von Schmerzen herrscht, dann wirkt das Endocannabinoid-System dem entgegen. Das Gleiche gilt beispielsweise für verstärkte Muskelspannungen, für Übelkeitsgefühle und für erhöhten Augeninnendruck – also für sehr verschiedenen Aspekte.“
Theoretisch ließen sich nun Cannabis oder einzelne Cannabinoide gegen zahlreiche Beschwerden als Medikament zulassen. Praktisch ist das aber kaum warscheinlich. Franjo Grotenhermen:
„Wenn man ein Cannabit-Medikament für Appetitlosigkeit bei Krebs zulassen möchte, muss man riesige Studien machen – also drei Studien mit 200 – 300 Teilnehmern – und Millionen investieren.“
Dieses Zulassungsverfahren müsste übrigens für jedes einzelne Anwendungsgebiet erfolgen, sprich für duzende von Indikationen. Damit ist vorerst wohl eher nicht zu rechnen. Chronisch Kranke dürfen sich unter bestimmten Bedingungen aber auch mit dem guten alten Gras selbst therapieren. Franjo Grotenhermen:
„Dann besteht eine Möglichkeit, von der Bundensopiumstelle eine Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabisblüten zu bekommen. Dort muss nachgewiesen werden, dass man wirklich anderweitig austherapiert ist – also dass der Schmerz zum Beispiel nicht auf Opiate anspricht.“
Laut Grotenhermen werde von dieser Möglichkeit noch viel zu selten Gebrauch gemacht. Bislang war Gras aus der Apotheke aber auch ziemlich teuer. Bei Grammpreisen zwischen 14 und 21 Euro kamen für Schmerzpatienten kosten von bis zu 3000 Euro monatlich zusammen, die selbstredent nicht von der Krankenkasse erstattet wurden. In diesem Licht betrachtet, ist die jüngste Entscheidung des Verwaltungsgericht Köln ein kleiner, aber wichtiger Fortschritt.
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