Zuckerfrei | Das ungesüßte Leben der Jasmin Kröger
Sugar Sugar, how you get so fly? Das fragt sich FluxFM-Redakteurin Jasmin Kröger auch. Seit Beginn des neuen Jahres unterzieht sie sich dem Selbstexperiment, acht Wochen lang ohne Zucker zu leben. Wie das so klappt, hält sie jeden Donnerstag in ihrem „Zuckertagebuch“ fest.
Tagebucheintrag vom 1. März
Liebes Tagebuch,
ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll – jetzt wo ich aufhöre. Ich blicke auf 8 Wochen 2018 zurück, die 1344 salzigsten Stunden meines Lebens. Immerhin Jodreich: Der Kelch eines Kropfes dürfte an mir vorüber sein. Ab heute also wieder Käsekuchen statt Kichererbsen. Ich soll mich freuen, aber die Wahrheit ist: es ist mir egal. Das hat der Zuckerentzug mit mir gemacht. In meinen Ohren singt die Silbermond Frontfrau: Lethargiieeeeee. Ansonsten ist wenig passiert: Bessere Haut, nein, mehr Energie, nein, Wespentaille und Michelle Obama Arme, nein – okay letzteres hatte mir auch niemand versprochen. Obwohl einmal eine Kollegin mein Gesicht sei jetzt schmaler – das könnte aber auch an dem YouTube Tutorial für ausdrucksstarke Wangenknochen liegen, das ich parallel ausprobiert habe. Im Büro sind schon alle sehr aufgeregt. Aus geheimen Quellen weiß ich, dass sie mich heute mit einer Benjamin Blümchen Torte überraschen wollen. Ich übe seit 3 Tagen meinen „woher wusstet ihr“ Gesichtsausdruck. Ich habe ihnen nicht erzählt, dass mir mittlerweile sogar Apfelschorle vor unerträglicher Süße das Gesicht verzieht. Zucker und ich – das ist vorbei. Okay, ich werde jetzt nicht jede Packung weißes Toast mit Zucker als gelistete Zutat auf den Supermarktfußboden schmeißen und Teufel schreien, aber ich und Snickers: Das sehe ich einfach nicht mehr. Nicht, nach dem ich die Erkältungssaison mit Heißer Zitrone ohne Honig überstanden habe. Nicht, nach dem ich mir bei jedem Mohnschnittchenprobierteller beim Bäcker auf die Finger hauen musste. Nicht, nach dem ich bei der Essenseinladung der neuen Nachbarn Rosinen aus ihrem Curry gepult hab. Bist du allergisch? Nein. Stille. Ich gebe meiner neuen Lebenseinstellung mindestens bis zur Eis-Saison. Und vielleicht schaue ich die Tage mal mit Käsekuchen statt Kichererbsen bei den Nachbarn vorbei.
Es ist vorbei – Zucker ade deine Jasmin
Tagebucheintrag vom 22. Februar
Liebes Tagebuch,
ich habe schlechte Nachrichten. Es hat sich herausgestellt, dass mich der Zuckerentzug krank gemacht hat. Unbemerkt. Nicht mal 24 Stunden ist es her, da hat mir die Ernährungsberaterin die Diagnose gestellt. Dabei fing alles so heiter an, ich erzählte ihr wie gut es mir ginge ohne den ganzen Süßkram. Auch ich hatte früher mal mit dem Gedanken gespielt, ob ich nicht irgendwelche Laktose & Co Intoleranzen habe, aber diese Frage sei jetzt vom Tisch. Die unproblematische Aufnahme von literweise Kuhmilch mache mich da sicher. Denn, so erzählte ich ihr, mein neues Hauptnahrungsmittel heiße aktuell Kaffee mit Milch. Viel Milch. Sie scheint ziemlich erstaunt, ich führe fort: Gibt’s überall und macht satt und ist ganz sicher zuckerfrei. Und wenn der Hunger doch mal größer sein sollte, verrate ich ihr meinen Tipp: Einfach noch ein drei Finger breites Stück Käse und eine halbe Tüte Nüsse dazu. Ihre Augen haben sich dramatisch groß geweitet: „Frau Kröger, Sie sind von der Zuckersucht in die Fettsucht geschliddert“, lautet ihr Urteil. Da verzichtet man sieben Wochen auf Zucker, isst eisern nur noch Eier, Käse, Schinken, Sahnejoghurt und Pommes – und macht trotzdem alles falsch. Einziger Lichtblick: Die Wiedergeburt meiner Geschmacksnerven. Einst erstickt durch löffelweise Nutella, tanzen sie nun sogar Samba-de-janeiro, wenn ich in eine blasse Discounter-Tomate beiße. Das darf gerne so bleiben. Soll dann noch mal einer kommen und sagen: „Also seit ich in Indien war kann ich Deutschland keine Mangos mehr essen.“ Da kann ich nur sagen: dit Geld für lange Reisen kann ich mir sparen, mir schmeckt jetzt auch wieder die unreif geerntete b-waren Pampelmuse bei ALDI.
Egal – ich habe ja noch eine Woche um das Ruder rumzureißen!
Deine Jasmin
Tagebucheintrag vom 15. Februar
Liebes Tagebuch,
etwas Krasses ist passiert: Es ist Woche 6 im Zuckerfrei-Programm und ich darf offiziell wieder Obst essen! Juhu! Hab mir gleich ’ne Packung Gelee-Banen gekauft! (Hihihi). Aber wo Sonne ist, da ist auch Schatten: Während Grapefruit, Kiwi und Apfelschorle mit großem Tamtam wieder in meinem Leben einziehen und ihr Comeback feiern, drehen die Kollegen das Zuckerlevel gerade auf „Süßer die Glocken nie klingen“:
Nicht nur, dass ungeniert in meiner Gegenwart über die Crispyness der M&M Ummantelungen gefachsimpelt wird, nein, gestern dann der absolute ZUCKER-GAU: Plötzlich steht da in der Flux-Küche die eine Süßigkeit, die ich mir als Kind immer erträumte, aber nie bekam: Die Benjamin Blümchen Torte!!!
Ein zuckriger Traum straight aus der Gefriertruhe. Alleine jedes einzelne der essbaren Konfettis wäre mir damals ein Loch im Milchzahn wert gewesen. Die Gegenargumente auf Erzeugerseite: Zucker, Fett, noch mehr Zucker und um die 2000 Farbstoffe. Heute sind zwar die Milchzähne passé, dafür habe ich wieder selben Tränchen im Auge. Kurz nachdem sich der glasige Blick lichtet: Wusch! steht da wie aus dem Nichts eine Riesenschüssel kleiner kugelrunder Kuchen am Stiel: Cake Pops nennen es die Kollegen – Ich nenne es Mobbing! Kaum will man einmal im Leben was für seine Gesundheit tun, schon mutiert das Büro zum Berliner Flagship Store von Willy Wonka. Da hilft nur passive Aggression: Also habe ich eben zwischen Torte und den Cake Pops ganz provokativ meine Tofu-Scheiben mit zuckerfreiem Senf beschmiert. Ergebnis: Die Kollegen fanden es leider weit weniger geschmacklos als ich.
Doch meine Zeit wird kommen! Heute beginnt schließlich die Fastenzeit. Und während sich einige meiner Kolleg*innen ab sofort in rigoroser Enthaltsamkeit üben, werde ich aufdrehen: Wenn dann in der Küche plötzlich Reisswaffeln mit dunklem Schokoladenüberzug oder leckere Rosinenschnecken liegen – immer dran denken, Freund*innen – ich hab damit nicht angefangen!
Ich sag nur: Wer zuletzt nascht, nascht am besten.
Sportliche Endspurt Grüße – deine Jasmin
Tagebucheintrag vom 8. Februar
Liebes Tagebuch,
wie du weißt habe ich vor 38 Tagen aufgehört Zucker zu essen. Fehlen also nur noch 18. Zeit zu überlegen, was ich in meinem Post-Zucker-Leben so machen könnte. Vielleicht Missionieren. Ähnlich wie der Fernsehkoch Jamie Oliver, der unermüdlich Schweiß und Tränen spendet, um dicken Schulkindern im angloamerikanischen Raum die Bonbons durch Brokkoli zu ersetzen. Ich werd’s nie vergessen, wie er in Kalifornien einen Schulbus mit der Menge Zucker füllen ließ, den die Kids im Laufe des Jahres in ihrer Schulschokomilch haben.
Tonnenweise floss das weiße Gift in den gelben Schulbus. Daneben: Weinende Kinder, schreiende Eltern und pöbelndes Schulpersonal. Gut, eine krasse Lebensmittelverschwendung. Aber für die richtige Sache! Ich dachte, ich beginne mit meinem Missionierungsprogramm vielleicht eher im kleineren Rahmen: Bei mir zuhause. Gestern habe ich mich in meiner Wohnung gut sichtbar in die Küche mit einer Tüte Kakaobohnensplitter gesetzt. Unter Zugabe von Fett, Milch und Zucker wird aus den Bohnen Schokolade. Ohne sind es einfach nur kleine harte Brocken. Es dauerte nicht lange bis Zielperson A, meine Mitbewohnerin, vorbei kommt und wissen will was ich esse. „Kakaobohnen“, sage ich möglichst beiläufig – „Ist wie Schokolade aber ohne Zucker“, sage ich. Sie greift beherzt in die Tüte, kaut und sprintet ins Bad – ich höre nur wie sie irgendwas mit bitter schreit. Ich rufe ihr hinterher: Die sind super gesund, enthalten ganz viele Spurenelemente. Ich sag das jetzt nur dir: Aber sie hat recht, Kakaobohnensplitter schmecken als würdest du dir ne Handvoll Sand in den Mund stecken in den 1993 mal ein Stück Bitterschokolade gefallen ist. Vielleicht befüll ich doch erst mal irgendwas mit Zucker – das scheint mir mehr Eindruck zu hinterlassen.
Ich überleg mir was – so long deine Jasmin.
Tagebucheintrag vom 1.Februar
Liebes Tagebuch,
es geht mir eigentlich ganz gut, nur meine Kollegen sind doof. Sie nerven einfach. Gestern habe ich am Rechner ein bisschen Senf gelöffelt, da fragen sie gleich wie ein Rudel Hyänen: „Darfst du das essen? Das ist doch bestimmt Zucker drin.“ Ich hab ihnen dann das Senfglas entgegen gehalten und vorgelesen. Zutaten: Wasser, Senfsaaten, Branntweinessig, Meersalz, Gewürze, Kräuter. Bioland, vegan, blabla…und dann das: Auf der Rückseite lese ich just in dieser Sekunde: Enthält von Natur aus Zucker. Mich trifft der Schlag – nicht auch noch Senf! Betroffenes Schweigen im Büro. Egal, ich hab eigentlich eh keine Zeit mehr zu arbeiten. Ich brauche die Zeit um Brot zu kaufen. Abends um 18 Uhr treffe ich beim guten Biobäcker ein und sage: Hallo ein Brot bitte, aber ohne Zucker. Es wird mir eins unter die Nase gehalten das nur Rübensirup enthält. „Geht leider nicht“, sage ich. „Dann vielleicht ein helles mit ein bisschen Honig?“ „Leider nein, leider gar nicht.“ Vollkommen verunsichert liest mir der Bäckersjunge nun die Zutaten aller 9 Brote vor, die um kurz vor Feierabend noch in seinem Regal liegen. Hinter mir geht die Schlange mittlerweile bis zum Ladeneingang. Ein wütender Mob, der mich so nervös macht, dass ich kurz davor bin sogar Streuselschnecke als Diätkompatibel durchzuwinken. Wie machen andere das? Ich suche im Netz nach Leidensgenossinen und stoße auf Gwyneth Paltrow. Die macht sogar ihre Milch selbt – aus Cashewnüssen. Dafür einfach die Cashews 10 Stunden einweichen, mit Wasser pürieren, dann in ein Tuch legen, auswringen, fertig. Klasse. Zeitaufwand 11 Stunden plus 1 Stunde saubermachen. Kein Wunder, dass wir Gwyneth schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr in Filmen gesehen haben. Auf den Frust esse ich erstmal ne Bulette. Ohne Senf. Ich schätze mal bald geht’s los mit dem tollen Körpergefühl und der guten Haut.
Alles Buletti,
deine Jasmin
Studiogespräch mit Renate Schmitt zum ‚Zuckerfrei Workshop‘
Renate Schmitt ist Vital Coach und hat im Studiogespräch mit Jasmin Kröger über ihre Erfahrungen mit der Ernährung ohne Zucker gesprochen. „Sich durch frische vollwertige Lebensmittel wieder mit der Natur zu verbinden und somit mit sich selbst“, das ist ihr wichtig.
Tagebucheintrag vom 25.Januar
Liebes Tagebuch,
es ist soweit. Mein Verlangen nach Süßem ist obsolet. Haha – Scherz. Im Gegenteil: Ich war noch nie so eine gierige Glotzgurke wie dieser Tage. Gestern war ich im jüdischen Museum, von der Ausstellung weiß ich kaum noch was. Alles ist überschattet von dieser dreistöckigen Schokotorte, die ein älterer Herr im Museums Cafe Schmus in Zeitlupe zu sich nahm. Ich plädiere dafür, dass Süßigkeiten in der Öffentlichkeit nur noch in braunen Papiertüten konsumiert werden dürfen. Da kommt meine soziale Ader duch: ich meine, das ist doch scheiße für alle, die zugucken müssen. Menschen, die in der Ubahn Schoko-Crossies essen, möchte ich mit Farbbeuteln bewerfen. Aber dafür fehlt das gesellschaftliche Bewusstsein, wie gefährlich Zucker ist. Ich bin alleine in meinem Kampf – und bald auch vollkommen allein. Erst gestern abend auf dem Heimweg verhinderte mein Zuckerverzicht einen wunderschönen Moment. Eine aus Israel angereiste Familie teilt sich eine Packung Chipsletten in der Ubahn. In ihrem Kreis sitzend bieten sie mir höflich auch eine handvoll an. Ich sage: Nein, danke. Lächelnd fragen sie erneut. Ich wieder: nein, danke. Schöner Moment vorbei. The Germans are so rude. Zuhause angekommen versuche ich mir das Leben mit einer heißen Schokolade schön zu trinken. Nein kein Nesquick – es handelt sich um einen YogiChaitee mit Nelken, Süssholzwurzel und Kakaobohnennibs. Das, aufgegossen mit viel fetter Milch, schmeckt wie heiße Schokolade. Oder so ähnlich. Zugeben ein bisschen wie eine traurige Version davon…eher so Marke mit Wasser aufgebrüht, zu wenig Pulver und einem Schluck 1,5 % fetter Milch. Aber mein Schokowasser mit Kuhmilch ist doch alles, was ich noch habe.
In süßer Versuchung – deine Jasmin
Tagebucheintrag vom 18.Januar
Liebes Tagebuch,
ich habe schlechte Nachrichten. Ich habe abgenommen. Nein, nicht an Körpermasse: an Willensstärke. Ich bin genervt, vor allem in den Mittagspausen. Jetzt, wo ich es am geringsten gebrauchen kann, fällt es mir auf die Füße, ich bedauere zutiefst, dass ich nie zu den fleißigen Büromenschen gehörte, die am Vorabend in gut sortierte Tupperware ihre Lunchpaket verpacken. Pünktlich um ein Uhr Mittags treibt mich eine Heisshungerattacke durch die Imbisse und Kleinrestaurants Kreuzbergs. Wer sich einmal richtig blöd fühlen will, dem empfehle ich in der Dönerbude zu fragen, ob Falafel im Pita zuckerfrei ist. Er so: Bist du allergisch? Ich so: Nein, ich möchte nur keinen Zucker essen. Er so: aha. Entnervtes Augenrollen. Ich habe mir vorgenommen, ab jetzt zu behaupten das ganze sei eine ernste Angelegenheit, vom Arzt verschrieben. Leben und Tod. Zumindest habe ich seit 3 Tagen tödliche Kopfschmerzen. Das dürfte die Entgiftungsphase sein, die in dem Buch beschrieben wird. Dort heißt es, wir sind regelrecht abhängig vom Zucker und der Entzug kann schmerzhaft werden. Ist er. Noch einen Tag und ich spül‘ die nächste Kopfschmerztablette mit einem Snickers runter. Ich versuche mich auf die Ziele zu konzentrieren. In meinem Begleitbuch steht, nach 8 Wochen zuckerfrei geniesst man süßes massvoll. Dann ist man nicht mehr diese Person die eine ganze Tafel Schokolade inhaliert, sondern isst ein Stück und denkt sich „nett, aber reicht auch“. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das bei mir klappen wird. Momentan bin ich nämlich leider zu der Person geworden, die einen ganzen Laib Käse isst.
Schade keine Schokolade,
deine Jasmin
Tagebucheintrag vom 11.Januar
Liebes Tagebuch,
die erste Woche Zuckerfrei ist um: jetzt also nur noch 7. Das einzig Süße, was mir noch über die Lippen geht, sind Komplimente an meine Kollegen, die wissend um meine Willensstärke, Bergeweise Schokolade und Kekse im Büro stapeln. Mir macht das nichts, ich hab ja meinen gelbe Beete Smoothie. Wäre seine Farbe nicht grünliches hellbraun, könnte ich den glatt auf Instagram posten #healthy #superfood #cleaneating #kaleing me softly…beim Auswärtsessen musste ich ein bisschen aufpassen, ein paar Dinge einfach weglassen: Beim Burger zb das Brötchen, die Sauce, die Tomaten und die eingelegten Gurken – beim Sushi die Sojasauce und den Reis. #keep it simple. Kommen wir zum besten Teil: Das Zuckerfrei-Programm erlaubt trockenen Weißwein. Nach einer Flasche Chardonnay Migrän habe ich mich auf einer Party im Prenzelberg zu einer Art Anti-Zuckermissonarin entwickelt und einer Gruppe Großstadt-Veganern ihren Prime-Time auftritt gestohlen. Zur Belohnung habe ich mir auf dem Rückweg in meiner Neuköllner Stammkneipe 2 Pfeffi gegönnt. Ich versuche mir dafür nicht zu verurteilen, und ich hoffe, du tust es auch nicht.
Deine Jasmin
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