Apokalypse auf zwei Gitarren | Thurston Moore Band beim Pop-Kultur Festival
Am 2. September ist das Pop-Kultur Festival im Berliner Huxley’s zu Gast. Auf den ersten Blick lassen sich düstere Wave-Musik, eingängiger Synth-Pop sowie punkige Klangeskapaden nur schwer miteinander vereinen. Möchte man einen roten Faden finden, muss man vielleicht die ursprünglichen Inspirationsquellen bemühen und bis in die Achtziger zurückblicken. Eines jedoch haben The KVB, Zola Jesus und die Thurston Moore Band definitiv gemein: den hohen Lautstärkepegel. FluxFM-Redakteur Fabian Broicher hat sich ohne Ohrenschützer (!) ins Klanggewitter gewagt und berichtet, ob sich der anschließende Tinnitus auch wirklich gelohnt hat.
Als um zwanzig nach neun Thurston Moore die Bühne betritt, gefolgt von seinen Mitstreitern, wirkt dies nach den perfekt durchchoreografierten Shows von The KVB und vor allem Zola Jesus wie ein schlechter Scherz. Unkoordiniert betreten die vier Musiker bei angeschaltetem Hallenlicht die Bühne, während der Songwriter von Sonic Youth das Publikum mit einem genuschelten Hello begrüßt. Man mag ihnen das als übertrieben zur Schau gestellten Gleichgültigkeit ankreiden können, doch passt es hervorragend zu dem musikalischen Stinkefinger, den die buchstäbliche Supergroup des Shoegaze in den kommenden anderthalb Stunden auf die Bühne bringt.
Zu Bildern von Pilzen, die dank Zeitraffer in Windeseile aus dem Boden wachsen, und symbolischen Weltraumplaneten im Stile Kubricks Odyssey Im Weltraum, tröpfelt eine simple Gitarrenmelodie über zurückhaltendes Schrummen, das sich langsam, aber konsequent steigert. Wenige Augenblicke später rollt eine unaufhaltsame Walze aus wohldosiertem Krach und treibendem Rhythmus über die Zuschauer hinweg.
Thurston Moores Musik kommt, gerade live, einer absoluten Urgewalt gleich. Die Songs, die, wie der Opener Cease Fire, zum Teil vom im nächsten Jahr erscheinenden Album Rock’n’Roll Consciousness stammen, leben von ihrer Überlänge, von ihrem cleveren Aufbau, durch den Moore seine All-Star-Kombo beinahe wie ein Dirigent leitet. Unvermittelt wechseln die Musiker von monoton bretterndem Gleichklang zu wunderschön gegenläufigen Gitarrenparts, dann wieder singt der Mastermind von Sonic Youth mit einer Attitüde, die einem Neil Young während seiner Grunge-Zeit gut zu Gesicht gestanden hätte.
Oft überschreitet der schlaksige Hüne dabei Grenzen des gewöhnlichen Durchschnitts und des selbst für hartgesottene Musikfans zumutbaren. Das fragil beginnende Instrumental Grace Lake steigert sich bis hin zum apokalyptischen Soundgewitter aus verzerrten, jaulenden Feedback-Schleifen von Gitarrist James Sedwards. Inmitten dieses Chaos thront Debbie Googe mit ihrer unvergleichbaren Art, Bass zu spielen. Für gewöhnlich spielt sie bei My Bloody Valentine, bei Thurston Moore hingegen scheint sie richtig aufzublühen, bekommt vom Chef sogar für ihre herausragende Leistung eine herzliche Umarmung.
Trotz der mitunter überwältigenden Sperrigkeit, mag man der Musik von Thurston Moore trotz allem die Eingängigkeit nicht absprechen. Im Kern schreibt er noch immer punkige, kraftvolle Popsongs, wie Forevermore, eine herzliche Liebeserklärung an seine Wahlheimatstadt London, die als einzige Zugabe und Rausschmeißer fungiert. Fast möchte man in die Mantra-artigen Zeilen einstimmen, wenn man sich nicht so stimm- und machtlos mit der musikalischen Power konfrontiert sehen würde, in deren Epizentrum man sich trotz Atonalitäten seltsam geborgen und pudelwohl fühlt. Denn Moore nutzt die Aggressivität seiner Musik nie dazu, um zur Gewalt aufzurufen. Sondern immer nur zum Liebeskrieg.
Er scheint zumindest glücklich zu sein, jener Thurston Moore, der nach seiner etwas unschönen, RTL explosiv-artigen Trennung von Kim Gordon, nach der Sonic Youth in die Brüche ging, sogar wieder über die Liebesgöttin Aphrodite singt. Auf einen „I Love You“-Zwischenruf aus dem Auditorium erkundigt er sich augenzwinkernd und schmunzelnd, wer denn gemeint wäre. Er umgibt sich mit den besten Leuten, musiziert etwa noch immer mit Sonic Youth-Drummer Steve Shelley. Die schon erwähnte neue Platte Rock’n’Roll Consciousness wird übrigens von Adele-Produzent Paul Epworth betreut und vom Sunn O)))-Vertrauten Randall Dunn gemastert. Man darf sich also auf ein sicherlich einmaliges Klangereignis freuen.
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