Ausstellungsfoto Heiner Franzen: Hinten John Bock, Kreatürliche Unschuld
Ausstellungsfoto Heiner Franzen: Hinten John Bock, Kreatürliche Unschuld

Heiner Franzen & Daniel Kannenberg | Radio Arty

▷ Letzte Änderung: 2015-10-29
By Diana Hagenberg [FluxFM] |
Im Radio:
29. Oktober 2015, 19 Uhr
02. November 2015, 24 Uhr

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Diese Woche sind Daniel Kannenberg und Heiner Franzen Gäste bei Radio Arty, die beide über ihre aktuellen Ausstellungen reden.

Heiner Franzen – Ohne Titel

Eine blutige Naht im Kostüm – Kreatürliche Unschuld. Eine Malerei bis auf den Grund gefüllt – Ohne Titel. Ein stratosphäischer Überflug – Astronautenhose. Zwei rasen um die Wette – Schneller mit Eichhorn und König. Und einmal Gatorade Doping durch die Kanüle gejagt – Life’s a Sport. Drink it up.

Heiner Franzen geht es um das, was passiert, wenn Bilder hängenbleiben, aus Filmen, Unfällen, Streitereien, oder banales Zeug. Was einen gerade so eben um den Schlaf bringt. Finissage am 31. Oktober. Mit John Bock, Friederike Feldmann, Heiner Franzen, Asta Gröting, Adrian Lohmüller und Hidden Track Nicole Kidman.

Schau Fenster, Berlin
Ohne Titel
Finissage 31.10.2015, 15-18 Uhr
Lobeckstr. 30-35, 10969 Berlin
Öffnungszeiten Sa 15-17 und nach Vereinbarung 0179-8227182


Daniel Kannenberg

Vitra trifft auf Voodoo. Wenn Daniel Kannenberg Nägel in einen Designerstuhl hämmert, scheint es wenig Absurderes zu geben. Dennoch liegen die beiden Welten dicht beieinander, da Zeremonien mit Puppen und Nadeln genauso wie Sitzmöbel – vom Herrscherthron bis zum Chefsessel – von Kultur, Gesellschaft und ihren Ritualen erzählen. Der Künstler richtet seine Bilder mit Gegenständen ein, die alltägliches Handeln widerspiegeln. Neben Stühlen zählen dazu auch Teppiche, Tapeten oder Lampen.

Seine meist dunklen, erdtonigen Räume besiedelt der Künstler mit Ganzkörperansichten absurder Maskenmenschen. Mies van der Rohe mit Tierskelettkopf macht es sich mit einer Zigarre demonstrativ auf einem Freischwinger gemütlich. Daniel Kannenberg verändert oftmals die Gesichter seiner Porträtierten. Masken tragen dabei eine Schlüsselrolle. Von afrikanischen Stammestänzen bis hin zum Karneval in Venedig sind sie eines der ältesten und am vielseitigsten kultisch und kulturell gebrauchten Objekte. Sie verschleiern und negieren persönliche Identität und lösen das Individuelle zu Gunsten sozial-gesellschaftlicher Strukturen auf. Sie versinnbildlichen ritualisierte Handlungen, die das menschliche Miteinander in einer Kultur ordnen, so wie es auch Einrichtungsgegenstände tun. Masken außereuropäischer Naturvölker finden sich im Oeuvre kubistischer Künstler und deren Beschäftigung mit Primitiver Kunst wieder. Mit ihrem Werk hat sich Daniel Kannenberg intensiv auseinander gesetzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte der Kolonialismus des industrialisierten Europas eine verklärte Hinwendung zum scheinbar einfachen und natürlichen Lebensstil der Naturvölker zur Folge, der eine glücklichere Existenz zu verheißen schien.

Mit Tierköpfen, die Kannenberg nicht nur berühmten Köpfen sondern auch gefundenen Selfies aus Onlinedating-Plattformen aufsetzt, verweist der Künstler ironisch auf den natürlichen Instinkt und stellt die Frage nach der eigentlichen Triebfeder menschlichen Handelns: Natur oder Kultur? In Alltagsritualen, animalischen Verhaltensweisen, Pflanzenwachstum oder auch in Galaxien offenbaren sich wiederholende und ähnliche Muster innerhalb eines universellen, komplexen Systems. Aber sind solche Ausprägungen nur Zufall? Wie Kaffeeflecken auf chaotischen Schreibtischen? Oder gibt es eine grundlegende Formel? Mit solchen Fragen beschäftigt sich Daniel Kannenberg, denn es ist kein Zufall, dass Flecken sein gesamtes Oeuvre durchziehen. Auf der Suche nach Antworten richtet sich der Blick seit jeher auf das Licht der Sterne, die als weiteres Ordnungssystem im menschlichen Dasein dienen. Mit dem altägyptischen Sonnengott Re und der Vorstellung von Christus als Licht der Welt betrifft dies Religion genauso wie die astronomische Wissenschaft, von Mesopotamien bis hin zur Quantenphysik von Max Planck. Ohne Sterne gibt es keine zielsichere Seefahrtsroute und keinen Taschenkalender, der das tägliche Leben gliedert.

Alltag und das große Ganze bilden eine Einheit, auch wenn sie manchmal abwegig und widersinnig wirkt. Daniel Kannenbergs Arbeiten spielen auf dieses Verhältnis an, denn in seinen Bildern lässt sich nicht immer klar unterscheiden, ob das Licht von himmlischen Sternen oder von irdischen Glühbirnen herrührt. Gemeint ist beides. Als Teile einer Ordnung lassen sich auch die Bildräume Kannenbergs verstehen. Wände und Fußböden dienen als Versatzstücke der Wirklichkeit und stellen wiederkehrende, ritualisierte Elemente menschlichen Lebens dar. Verschachtelt und verschränkt lösen sie sich schließlich in einem fleckigen, braun-grauen Raum auf. Wie dunkle Materie verweist dieser auf eine unerklärliche Welt jenseits des Erfassbaren. Nicht nur die Raumteile sondern auch die sich auflösenden Raster in den Arbeiten von Daniel Kannenberg sind als begreifbare Formen innerhalb eines rätselhaften Universums anzusehen. Jedes Feld enthüllt einen einzigartigen Kosmos abstrakter Malerei – und symbolisiert zugleich sich wiederholende Muster. „Die Raster sind mit der Hoffnung auf Kalkulierbarkeit verbunden, die dem Zufall entgegensteht“, sagt Daniel Kannenberg. Die eingerichteten Räume und rituellen Alltagsobjekte sind ebenfalls Sinnbild für den Wunsch nach Berechenbarkeit.

In seinem 1930 veröffentlichtem Aufsatz „Das Unbehagen in der Kultur“ beschreibt Sigmund Freud die Kultur als notwendiges Mittel der Regelung gemeinschaftlichen Lebens und gleichermaßen als Quelle des Leidens, weil sie die Erfüllung triebhafter Bedürfnisse einschränkt und negiert. Dieses unbehagliche Dilemma zwischen natürlicher Individualität und kultureller Gesellschaft ist in den Arbeiten von Daniel Kannenberg spürbar. Vermeintliche Gegensatzpaare zwischen alltäglicher Ordnung und universellem Chaos verdichten sich auf den Bildflächen des Künstlers zu einer Einheit, die durch das kontrastreiche Zusammenspiel von Designermöbeln, afrikanischen Masken, fleckigen Tapeten oder grünen Neonröhren immer wieder absurd und ungewohnt erscheint. Daniel Kannenberg verbindet in seinen Arbeiten divergente Welten und demaskiert sie als Teil eines vielfältigen Ganzen.

(Text von Tina Sauerländer)

Ausstellung
Daniel Kannenberg: ANTIGOA

29 Oktober – 22 November 2015
Eröffung: 29 Oktober, 19 – 22h
M1
Maxstrasse 1, 13347 Berlin
Offen: Do 19 – 22h, So 15-18h


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