Nudging – Stupser von oben
In der Politik macht sich ein neuer Trend breit: das sogenannte Nudging, auf deutsch am besten als „Anstupsen“ zu übersetzten. Das sind kleine psychologische Anreize, die zu besserem Verhalten führen sollen. Das bekannteste Beispiel ist eine Fliege im Pissoir im Amsterdamer Flughafen: Dieses kleine, gezielt platzierte Insekt sorgt dafür, dass die Männer plötzlich zielen beim Pinkeln – das Ergebnis: die Sauberkeit der Toiletten stieg um 80 Prozent. Diese und ähnliche Geschichten will sich Frau Merkel jetzt zu Nutzen machen und gucken, wie sie ihre Bürger hier und da in die richtige Richtung stupsen kann. Aysche Wesche berichtet:
Obama hat es, Cameron hat es und Merkel will`s jetzt auch: eine eigene Abteilung, die sich nur mit Nudging befasst. Vor kurzem hat ein Projektteam im Bundeskanzleramt seine Arbeit aufgenommen. Nudging ist nichts Neues, in der Wirtschaft ist es gang und gäbe und fängt schon beim Aufbau im Supermarkt an. Warum also nicht auch in der Politik, fragen sich selbst Verbraucherschützer. Klaus Müller ist der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und glaubt, dass man mit Nudging in der Politik viel Gutes erreichen kann:
„In Spanien spendet jeder seine Organe, außer, ich trage eine Karte mit mir mit, wo drauf steht ich will das nicht. Der Effekt ist: in Deutschland spenden vergleichsweise wenige Organe, mit denen sie Leben retten, in Spanien tun das vergleichsweise viele Leute.“
Ob gezieltes Pinkeln oder komplexe Themen wie Organspende, Altersvorsorge oder gesunde Ernährung – manchmal kann es vielleicht hilfreich sein, den Leuten einen Denk-Anstupser zu geben.
„Ich glaube, dass das eine große Chance hat, ohne jemanden zu zwingen zu besseren Ergebnissen zu kommen – und wer möchte sich nicht gesünder ernähren, besser fürs Alter vorsorgen oder einfach was Gutes tun. Ich glaube, dass Nudging große Vorteile hat, wenn man es fair, transparent und offen gestaltet.“
Ganz so positiv sehen das nicht alle. Zum Beispiel Gerd Gigerenzer, er ist Psychologe und Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung. Gigerenzer glaubt, dass schon die grundsätzliche Ausrichtung des Nudging viel zu negativ gedacht ist:
„Die Nudging-Philosophie beruht darauf, dass man annimmt, dass die meisten von uns nicht fähig sind Risiken einzuschätzen und auch nicht fähig sind, das zu lernen. Und dem Staat bleibt dann wenig über, als die sozusagen so zu lenken. Das kann manchmal helfen, aber das wirkliche Ziel sollte ein anderes sein – nicht Menschen wie Schafe von der Wiege zur Bare zu lenken, sondern sie kompetenter zu machen.“
Der Bürger als Schaf? Klingt nicht sonderlich souverän. Gerd Gigerenzer glaubt, dass Nudging deshalb auch nicht nachhaltig sein kann – was man nicht lernt, merkt man sich nicht. Er denkt aber sowieso nicht, dass die deutsche Politik das nötig hat:
„Das kommt ja aus den USA und wenn man das kurz sagt, hat man in den USA ein massives Problem damit, dass die öffentliche Bildung als gescheitert gilt. Viele Amerikaner können kaum Lesen und Schreiben. Diese Situation haben wir in Deutschland nicht – zumindest noch nicht – und wir sollten daran arbeiten, dass wir wirklich Bürger kompetenter machen, so dass Bürger selbst informierte Entscheidungen treffen können.“
Also umfassende Bildung statt Herden-Zwang. Aber ab und zu mal ein kleiner Stubser… kann vielleicht auch ganz hilfreich sein.