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Rückblick: European Music Fair in Warschau

▷ Letzte Änderung: 2014-12-03
By Andreas Hänisch |

Dass Polen mehr ist als nur Mazurka, Polka und Piroggen, bewies die 4. European Music Fair. Vom 28. bis 30.11.2014 stellte sich die polnische Musikszene im Kulturpalast in Warschau vor. Musikredakteur Andreas Hänisch war für euch vor Ort, um in die Musikszene in der polnischen Hauptstadt einzutauchen.

Freitag:

Von der Berlin Music Commission initiiert, wurde eine kleine Berliner Delegation, bestehend aus Bookern, Musikmanagern, Labelbetriebern und Festivalorganisatoren, nach Warschau geschickt. Am Nachmittag kommt die Gruppe am Warschauer Hauptbahnhof an. Auf den Weg zum Hotel fällt schon das besondere Stadtbild Warschaus auf. 4 moderne Wolkenkratzer stehen dem 1955 von sowjetischen Arbeitern erbauten 231 Meter hohen Kulturpalast gegenüber. Ein faszinierender Koloss des sozialistischen Klassizismus. Die Warschauer haben ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Kulturpalast. Das Gebäude stand lange Zeit als Symbol für Unterdrückung. Mittlerweile beherbergt das Gebäude einige Museen, Kinos und selbst ein Schwimmbad – und eben die European Music Fair mitsamt den Konzerten.

Nach einem Abendessen (Piroggen mit Käse gefüllt) ging es dann auch schon zu den ersten Konzerten. Erster Eindruck, wenig Hipster-Publikum (angenehm), leckeres Bier (viel zu angenehm) und Bands, die oft ein bisschen over the top zu sein scheinen (nicht immer angenehm).

Highlight am ersten Abend sind Sorry Boys, ein Quintett aus Warschau, das bisher zwei Alben veröffentlicht hat. Der Sound erinnert mit den halligen Gitarren und der Stimme von Izabela Komoszyńska an Kate Bush und die 80er.

Das Duo We Draw A überzeugt mit melancholisch angehauchten Elektro-Pop und am Ende des Abends spielt Artur Rojek. Eine ziemliche Größe in der polnischen Musikszene, wie sich heraus stellt. Rojek ist künstlerischer Leiter des Off-Festivals und hat in diversen bekannten Alternative-Rock-Bands gespielt. Er vereint an diesem Abend Indie- und Mainstream-Publikum gleichermaßen.


Samstag:

Viel zu früh und nach zu viel Schnaps wieder auf den Beinen, aber die Kälte draußen wirkt Wunder. Der Tag ist gefüllt mit Panels und Diskussionen rund um die polnische und internationale Musikszene. Networking ist das Gebot des Tages. Am Ende ist der Stoffbeutel voll mit CDs.

Paula i Karol sind ja bereits alte Bekannte von FluxFM. Die Kanadierin, die derzeit in Hamburg lebt, und ihr musikalischer Partner Karol (aus Warschau) bringen mit ihrer Band das Publikum endlich mal zum Tanzen. Danach berichtet Karol vom schwierigen polnischen Publikum, mit dem Zusatz, dass die deutschen Konzertgänger auch nicht besser seien…

Ein Name, der schon von Anfang an häufig genannt wird, ist der von The Duplings. Das Duo ist erst 17 bzw. 18 Jahre alt, hat aber schon einen ordentlichen Buzz in Polen erzeugt. Live ist das Duo um einen Schlagzeuger erweitert, kann aber (gerade wegen des Schlagzeugers) nicht ganz überzeugen. Auf Platte klingt ihr melancholischer Elektro-Pop, der an The XX erinnert, aber ziemlich gut.

Zamilska ist im von Gitarren dominierten Line-Up eine ziemliche Überraschung. Plötzlich dröhnt ziemlich düsterer, sehr experimenteller Techno aus den Boxen. Man wähnt sich schon im Berghain. Ihr Live-Set ist ein absolutes Highlight auf der European Music Fair.

Traditioneller Indie-Rock der britischen Prägung darf natürlich nicht fehlen. Dieser kommt dann von der ebenfalls ziemlich jungen Band Young Stadium Club. Das Duo aus Lodz wird Live zum Quintett und kann mit einer dynamischen Show überzeugen.

Die zweite Überraschung des Abends kommt vom Wojtek Mazolewski Quintet. Eigentlich spielt Wojtek Mazolewski bei der Jazz-Band Pink Freud (ganz ehrlich, blöder Bandname). Das Quintett spielt fantastisch groovenden Jazz, der mit Reggae, Elektro und Rock-Anleihen liebäugelt. Immer wieder schleichen sich Cover-Versionen von u.a. Rage Against The Machine und Nirvana ein. Absolutes Highlight, ihre Version von Major Lazers Song Get Free. Als die Band sich warm gespielt hat, jammen sie, was das Zeug hält und hören gar nicht mehr auf. Also schnell noch ein Bier bestellt und weiter getanzt.


Sonntag:

Es steht nicht mehr viel auf dem Programm. Nach einem Katerfrühstück und der herzlichen Verabschiedung geht’s wieder in den Zug Richtung Berlin. Warschau sei in einer Aufbruchsstimmung wie Berlin vor einigen Jahren. Vielleicht. Auf alle Fälle ist die polnische Musikszene vielfältiger als man denkt. Und Warschau ist sowieso immer eine Reise wert.

Die erwähnten Acts und noch mehr Musik aus Polen findet ihr in dieser Playlist:

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