Tauschen und tauschen lassen 2021
27. Dezember 2021 bis 2. Januar 2022
Nach Schenken und schenken lassen folgt in gewohnter Reihenfolge Jörg Petzolds zweites Buchvorstellungssammelsurium: Tauschen und tauschen lassen gibt euch Tipps, gegen welche guten Bücher ihr unliebsame Büchergeschenke eintauschen könnt.
Gaspard Koenig – Das Ende des Individuums
Wir lassen uns unsere Entscheidungen von Technologien abnehmen. Warum auch nicht, wenn sie für uns perfekte Partner oder passende Jobs finden, wenn sie uns besser kennen, als wir uns selbst? KI kann süchtig machen, uns aber auch manipulieren. Um herauszufinden, wie es um die Zukunft im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz steht, begibt sich Gaspard Koenig auf eine Weltreise zu Wissenschaftlern, Investoren, Aktivisten und einem Zauberer, um künstliche und die menschliche Intelligenz auszuloten. Er erforscht, was den freien Willen und die Werte der Aufklärung bedroht, und skizziert eine Politik, die dem begegnen kann.
Fazit von Jörg Petzold:
„Uff. Das scheint mir nicht nur eines der wichtigsten Sachbücher dieses Jahres zu sein, sondern auch eines der anspruchsvollsten! Es ist eine ordentliche Portion Konzentration nötig, um sich durch die knapp 400 Seiten zu arbeiten, aber dann ist man auf der Höhe der Diskussion – zumindest der Diskussion, die Laien führen können. Und die Fragen, die hier aufgeworfen werden – unter anderem zur Zukunft der Arbeit, der Demokratie und unsres Zusammenlebens – , haben es allesamt wirklich in sich. Wer sich nur ein bisschen dafür interessiert, was sich da am digitalen Himmel zusammenbraut, der liegt mit diesem Buch goldrichtig!“
Das Ende des Individuums von Gaspard Koenig ist bei Galiani erschienen und wurde von Tobias Roth übersetzt.
James Suzman – Sie nannten es Arbeit
Arbeit ist der Kern unserer modernen Gesellschaften. Sie bestimmt wer wir sind und dominiert unser Leben – aber warum eigentlich? Und warum arbeiten wir immer mehr, obwohl wir so viel produzieren wie noch nie? Das rastlose Konsumieren gilt heute als natürliche Eigenschaft des Homo Sapiens. Doch das war nicht immer so. Wie Arbeit von uns Besitz ergreifen konnte und warum die Überflussgesellschaft weiterhin alten Mustern folgt, erklärt der Anthropologe James Suzman in seinem Buch.
Fazit von Jörg Petzold:
„Du reibst dich daran, dass wir immer mehr arbeiten, obwohl wir doch immer produktiver werden? Du fragst dich, wo das herkommt und wohin das bei all der schon existierenden Verwüstung noch führen soll? Dann ist dieses Buch in seiner Fülle an Beispielen und Fakten eine Lektüre, die dir ordentlich den Kopf rauchen lassen wird. Ich habe mich in den letzten Jahren sehr viel mit diesem Thema beschäftigt und trotzdem ganz neue Sichten und Geschichten kennen gelernt.
Großartig!!“
Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit von James Suzman ist im C.H. Beck Verlag erschienen und wurde von Karl Heinz Siber übersetzt.
Bryan Washington – Dinge, an die wir nicht glauben
Ben, ein schwarzer Kindergärtner, und Mike, ein Koch mit japanischen Wurzeln, sind seit vier Jahren zusammen. Sie leben zusammen, aber irgendwie aneinander vorbei, ihre hitzigen Konflikte lösen die beiden mit Sex. Als Mikes Mutter Mitsuko aus Japan zu Besuch kommt, reist Mike überstürzt ab, um bei seinen todkranken Vater zu sein. So bleibt Ben zurück mit dieser wortkargen fremden Frau, die beim Frühstück Dinger raushaut wie: Wie lange schlafen Sie schon mit meinem Sohn? Ein Roman über Liebe, Herkunft und das, was bleibt, wenn Beziehungen in die Jahre kommen.
Fazit von Jörg Petzold:
„Ich bin ziemlich sicher: der Ton, der Flow, die Schlagfertigkeit der Protagonisten, die Geschichte in ihren Verästelungen, die man kennen kann aus eigenen Erfahrungen – das wird euch genauso gefallen wie mir. Hochgelobt. Aus meiner Sicht mehr als gerechtfertigt. Eine sehr feine Lektüre.“
Dinge, an die wir nicht glauben von Bryan Washington ist bei Kein und Aber erschienen und wurde von Werner Löcher-Lawrence übersetzt.
Gabriel Krauze – Beide Leben
Der 17-jährige Snoopz wohnt in einer gefährlichen Gegend im Nord-Westen Londons, in seiner Nachbarschaft wird gedealt, geraubt und gemordet. Auch Snoppz vertickt Drogen, raubt reiche Frauen aus, bricht in Wohnungen ein. Parallel studiert er englische Literatur, vertieft sich begeistert in Romane und philosophische Schriften. Eben noch als Angeklagter vor Gericht, danach an die Uni ins Shakespeare-Seminar – Gabriel Krauze schreibt ehrlich und poetisch über seinen früheren Alltag – ein atemloser Balanceakt zwischen zwei widersprüchlichen Welten.
Fazit von Jörg Petzold:
„Eine krasse neue Stimme aus England. Vielleicht fasse ich es am besten mit Adjektiven wie authentisch, hart, ungeschönt, ehrlich, intensiv und auf eine rohe Art poetisch. Mittlerweile distanziert sich der Autor von seinem früheren Gangleben und verarbeitet es literarisch. Absolut lesenswert.“
Beide Leben von Gabriel Krauze ist bei Kein & Aber erschienen und wurde von Werner Löcher-Lawrence übersetzt.
Kayo Mpoyi – Mai bedeutet Wasser
Die Diplomatentochter Adi wächst in Tansania mit einem sehr strengen Vater auf. Die Kinder sollen es bis ganz nach oben schaffen und dabei bloß nicht aufbegehren. Schafft Adi es, sich zu emanzipieren und die strengen Fänge Ihrer Familie zu durchbrechen? Kayo Mpoyi erzählt die Geschichte eines jungen Mädchens und ihrer Familie zwischen äußeren Einflüssen wie Krieg oder Vertreibungen und inneren Zwängen, Gehorsam und Intimität.
Fazit von Jörg Petzold:
„So ein wunderschönes, berührendes Buch habe ich lange nicht in Händen gehalten. Ein Entwicklungsroman, der so poetisch die schwersten Themen schultert, dass man ihm nur verfallen kann. Zumindest ging es mir so und ich könnte mir vorstellen, dass dieses Buch nicht nur in Schweden einschlägt!“
Mai bedeutet Wasser von Kayo Mpoyi ist bei CulturBooks erschienen und wurde von Elke Ranzinger übersetzt.
Dalibor Marković – Pappel
Konrad Pappel ist von Geburt an eine Schwarzpappel, die sich aber auf mysteriöse Weise von ihrer Wurzel gelöst und in einen Menschen verwandelt hat. Außerdem ist er auf geheimnisvolle Weise mit Franz Kafka verbunden. Er macht sich auf einen atemberaubende Weg durch die letzten 150 Jahre der Weltgeschichte. Der Spoken Word Poet Dalibor Marković zieht in seinem Debüt-Roman alle Register und begeistert mit fantastischen Geschichten.
Fazit von Jörg Petzold:
„Das ist ein überbordend und wild erzählter Roman. Man merkt Dalibor Marković die Lust am Assoziieren und Fabulieren an. Und eine Dosis Geschichte kriegt man mit diesen Geschichten auch noch mit. Das hat mich dermaßen in seinen Bann gezogen, dass ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen kann.“
Pappel von Dalibor Marković ist bei Voland & Quist erschienen.
Barbi Marković – Die verschissene Zeit
Belgrad, 1995: Marko, Vanja und Kasandra leben in einem Teufelskreis aus Armut, Gewalt, Inflation und Drogen. Aber in der serbischen Hauptstadt steht auch eine Zeitmaschine. Gebaut von einem Wissenschaftler, um nachträglich den Ausbruch der Jugoslawienkriege zu verhindern. Der Apparat hat allerdings einen Knacks weg und schickt seine Umgebung stattdessen wild vor und zurück durch die 90er. So landen auch die drei Jugendlichen in einem verrückten Time-Traveltrip und versuchen, das gradezubiegen, was Politik, Wirtschaft und Menschen versemmelt haben.
Fazit von Jörg Petzold:
„Ich bin so begeistert, dass ich gar nicht weiß, wie ich es beschreiben soll, ohne in Klischees zu verfallen oder sonst unglaubwürdig zu klingen! Kann man nur so krass, kraftvoll, mit diesem Humor und dieser Klarheit schreiben, wenn man schon als Jugendliche den allergrößten Mist erleben musste? Ich würde gerne sagen: ‚Ist doch egal‘ (was es leider nicht ist!). Wichtiger ist aber, dass dieses Buch so großartig ist, berührend, lustig, mitreißend, dass Ihr euch das auf gar keinen Fall entgehen lassen solltet! Außerdem gibt es zum Buch noch ein Rollenspiel dazu! Wen das nicht überzeugt…“
Die verschissene Zeit von Barbi Marković ist im Residenzverlag erschienen.
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