"Worauf du dich verlassen kannst" von Kate Tempest (Foto: Fabian Broicher)
"Worauf du dich verlassen kannst" von Kate Tempest (Foto: Fabian Broicher)

Nur Drogen wären doch langweilig | Kate Tempest liest in Berlin

▷ Letzte Änderung: 2016-06-01
By Fabian [FluxFM] |

Kate Tempest hat ein Buch geschrieben. Worauf du dich verlassen kannst heißt ihr jetzt schon gefeierter Debütroman. Die Londoner Wortkünstlerin stellte ihn am 31. Mai 2016 in Berlin vor – Fabian Broicher von der FluxFM-Onlineredaktion war vor Ort.

Irgendwie ist es eine ungewöhnliche Veranstaltung fürs Lido, die am 31. Mai stattfindet. Normalerweise steigen in dem Kreuzberger Club Konzerte, Partys, hin und wieder mal Poetry Slams mit Spoken-Word-Charakter. Aber eine waschechte Lesung ist dort eher die Ausnahme.

Doch wenn die Rapperin, Poetry Slammerin und mittlerweile gefeierte Autorin Kate Tempest in die deutsche Hauptstadt kommt, um ihren Debütroman Worauf du dich verlassen kannst vorzustellen, wird so ein Club schon mal gerne zur literarischen Hochburg umfunktioniert.

41U1CqudgbL Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – wirkt vor Ort alles allzu schnell aus dem Boden gestampft. Neben den drei Sesseln auf der Bühne sollen wuchtige Stehlampen mit roten Schirmen, die vermutlich aus dem Sortiment eines großen skandinavischen Einrichtungshauses stammen, für heimelige Atmosphäre sorgen. Das Publikum muss sich indes mit ein paar Reihen mäßig bequemer Klappstühle begnügen. Wer zu spät den Weg ins Lido findet, bleibt entweder stehen oder hockt sich auf den Boden. Ganz ohne Konzertklischees funktioniert es dann allerdings doch nicht, denn schnell verwandelt sich der ausverkaufte Club temperaturmäßig in eine Sauna, und pünktlich geht es auch nicht los.

Um zwanzig nach acht betritt Kate Tempest gemeinsam mit Katy Derbyshire und Sophie Hunger die Bühne. Die Übersetzerin Katy Derbyshire übernimmt die Moderation, während die Schweizer Künstlerin Sophie Hunger zwei deutsche Texte vorträgt. Kate Tempest steht aber fraglos im Mittelpunkt. Die trotz ihrer typischen, etwas grobschlächtigeren Art grundweg sympathische Londonerin tritt sehr burschikos auf, spricht von den drei Damen am lautesten und versteht es, sich selbst zu inszenieren. „Wer sich freiwillig von mir anschreien lassen möchte“, weist sie das Publikum an, „kann gerne Fragen stellen.“ Allerdings nur, wenn man darauf achtet, dass am Schluss auch ein Fragezeichen steht, denn sonst wäre es lediglich eine Anekdote, mit der niemand etwas anfangen könnte.

Ihr erster Roman Worauf du dich verlassen kannst stellt so etwas wie den Gipfel einer ganzen Reihe von Arbeiten dar, zu der auch Kate Tempests erstes Album Everybody Down zählt. Die Charaktere der Songtexte finden sich in der Handlung wieder. Etwa die Kellnerin und Tänzerin Becky und die Drogendealerin Harry – die auf dem Album noch ein Mann war. Eine notwendige Änderung, die Kate Tempest allerdings viel zu spät auffiel, als die Deadline des Verlags eigentlich schon längst überschritten war. Für die Autorin war das „…just a small change.“. Ihre Verlegerin hat sie damit fast in den Wahnsinn getrieben. Aber für Kate Tempest war das wichtig, denn dadurch ist die Rolle einfach irgendwie cooler geworden.

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man Kate Tempests literarischen Ansatz als planlos, oder gar dilettantisch bezeichnen. Doch wenn sie ihre Arbeiten vorträgt, fügt sich alles zusammen – die Texte verwandeln sich in rhythmische Gebilde, sprachliche Bilder fließen ineinander, die einen packen und mit drängender Wucht umwerfen, nur um im allerletzten Moment wieder Trost zu spenden. Das wird deutlich, wenn sie den Anfang ihres Romans, der mit einem Zitat von William Blake beginnt, fast auswendig vorträgt und eines ihrer Gedichte aus dem Band Hold Your Own rezitiert. Dann wirkt sie wie die legitime Nachfolgerin von den amerikanischen Beat-Poeten Jack Kerouac und Allen Ginsberg, die zu ihrer Zeit den Be-Bop in Lyrik packten. Für Kate Tempest singt Sprache immer auch, sie ist auf der Suche nach einem Flow. Sie findet es wunderbar, dass jeder dasselbe hört oder liest, und sich dennoch etwas ganz anderes vorstellt. Kate Tempest möchte die Fantasie anregen.

Das tat sie bereits mit ihrer einzigartigen Musik, irgendwo zwischen groovig-jazzigem Hip Hop und packendem Spoken Word, und tut es jetzt als Autorin. Worauf du dich verlassen kannst ist witzig, tragisch, sehnsüchtig, voller guter Ideen und liebevoll geschriebenen Hintergrundgeschichten – und nicht einfach nur eine weitere Erzählung über junge Menschen, die Drogen nehmen. Denn das, sagt Kate Tempest an dem Abend mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht, kann ja schließlich jeder.

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