Noel Gallagher's High Flying Birds live auf dem Pure&Crafted Festival (Foto: Bettina Frese)
Noel Gallagher's High Flying Birds live auf dem Pure&Crafted Festival (Foto: Bettina Frese)

Der Charme unpeinlicher Nostalgie | Noel Gallagher’s High Flying Birds live in Berlin

▷ Letzte Änderung: 2016-08-15
By Fabian [FluxFM] |

Noel Gallagher ist eine coole Sau. Nein, wirklich, mit jeder Geste, jedem E-Moll-Akkord – und davon gibt es einige – und jedem verkrampften Gesichtsausdruck, wenn er mal einen hohen Ton beim Singen nicht ganz erwischt, spürt man: Dieser Mann muss niemandem mehr etwas beweisen. FluxFM-Redakteur Fabian Broicher hat sich das mal bei Noel Gallagher’s High Flying Birds live auf dem Pure&Crafted Festival in Berlin beweisen lassen.

Seine Bühnenausstrahlung pendelt irgendwo zwischen kumpelhafter Sympathie und unglaublicher Arroganz hin und her. Mit letzterer macht er sich ja in diversen Interviews immer wieder neue Freunde unter seinen Musikerkollegen. Zuletzt zog Noel Gallagher in einem Gespräch mit einem britischen Kulturmagazin über Radiohead her und nutzte ein sehr drastisches Bild, um Thom Yorkes Monopolstellung als everybody’s darling bei den Musikkritikern zu beschreiben. (Anm. d. Red.: Es ging ums Fäkalieren in eine Glühbirne.)

Glücklicherweise geht der ehemalige Songwriter der Britpop-Heroen Oasis und die intelligentere Hälfte des Gallagher-Bruderpaares mit seinem Publikum besser um – zumindest teilweise: Bei dem Auftritt seiner Band High Flying Birds auf dem Berliner Pure&Crafted Festival lässt es sich schwer einschätzen, ob er sich einfach nur gerne in Ironie suhlt oder grundsätzlich den distanzierten Umgang bevorzugt. Das Motorrad-Festival bezeichnet er jedenfalls als den besten Ort, an dem er je gespielt hat (was ganz sicher Ironie war). Immerhin, ein Fan hat ihm ein Geschenk in Form einer bekritzelten Flagge der tschechischen Republik mitgebracht. „When you can get it up here“, sagt Noel zu ihm und meint damit die Bühne, „I’ll keep it.“ Ein paar Sekunden später hängt die Fahne auf der Bühne vor seinem Mikrofonständer. Ein anderer Kerl namens Thomas stellt sich durch enervierende Zwischenrufe als Noel Gallaghers größter Fan ever vor.

Dies zeugt zumindest von einer exzellenten Stimmung vor der Bühne, was sicherlich auch auf den überdurchschnittlich hohen Bierkonsum des Publikums zurückzuführen ist. Bereits bei den ersten Songs (die übrigens allesamt von den beiden Platten der High Flying Birds stammen), herrscht eine Atmosphäre, die mehr an Bierzelt und Fußballstadion erinnert, als an ein Open-Air-Festival. Plastikbecher fliegen durch die Luft, irgendeiner brüllt in besonders unpassenden Momenten nach Liam.

Dabei weiß Noel Gallagher mit seiner bestens eingespielten Band, die um eine kleine Bläser-Sektion erweitert ist, musikalisch durchaus zu überzeugen. Das unerhört eingängige In The Heat Of The Moment gewinnt live durch ein schärferes Arrangement, bei dem die Na, na, na-Kinderliedmelodie kurzerhand weggelassen wird. Das groovende Riverman, mit Pink-Floyd-Gedächtnis-Gitarren und einem hervorragend gespielten, fast jazzigen Saxophon-Solo, entwickelt sich ebenfalls zu einem frühen Highlight.

In der Tradition seiner ehemaligen Hauptband steht auch bei Noel Gallagher nie die musikalische Raffinesse im Fokus, sondern sein erstklassiges Songwriting-Talent. Es sind sehnsüchtige Zeilen wie „If I had a gun, I’d shoot a hole into the sun/ And love would burn this city down for you“, die einen fast glauben lassen, man lausche einer anderen, besseren Version von Oasis – einer Weiterentwicklung. Entsprechend wirken auch die reichlich ins Set eingesträuten Oasis-Songs nicht wie Fremdkörper, sondern stellen einen gleichberechtigten Teil des Sets dar. Sowieso bringt Noel Gallagher sie in überraschend ruhigen Versionen auf die Bühne – Champagne Supernova und The Masterplan wurden vom krachigen Gitarrenfeedback ihrer Studiopendants befreit und klingen dadurch leichtfüßig charmant.

Und irgendwie, auf seine ganz ureigene Art und Weise, experimentiert auch noch ein Noel Gallagher. Krautrockig scharwenzelt sich die achtköpfige Band in der Mitte des Sets durch eine tolle Version von Ballad Of The Mighty I, bricht damit den allzu gleichförmigen, rumpligen Kinks-Beat auf, gerade, als er langweilig zu werden droht. Und schließlich folgen dann doch noch – als unpeinliche Verbeugung vor lange vergangenen, besseren Zeiten – Wonderwall und Don’t Look Back In Anger. Da übertönen dann auch endlich die Noel-Sprechchöre die ewigen, Oasis-Shirts tragenden Nörgler, die sich darüber echauffieren, dass Noel Gallagher sich mit seiner Wonderwall-Version bei Ryan Adams bedient.

Was den Noel-Superfan Thomas schlussendlich zum Superfan qualifiziert, ist dann nicht mehr final geklärt worden. Doch nach einem so starken Auftritt kann man verstehen, wie Noel Gallagher es gelingt, als einer der wenigen Britpop-Künstler, seine musikalische Relevanz auch heute noch zu untermauern. Zwar besteht eine große Chance, als Mitläufer unter den vielen Trinkern im Publikum zum Alkoholiker zu werden, doch das ist ein geringes Übel. Schließlich triefen die legendären Zeilen „Please don’t put your life in the hands/ Of a rock’n’roll band/ Who’ll throw it all away“ immer noch vor Wahrheit. Heute dank Noel Gallagher’s High Flying Birds mehr denn je.

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